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Ein abenteuerliches Herz

Ein abenteuerliches Herz

Titel: Ein abenteuerliches Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz Ludwig Arnold
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Sprache der Schönheit vermittelte, ein klareres. Sehr liebte ich den Brueghel, den man den Sammetbrueghel nennt und der auf winzige Gemälde eine Tiefe zu bannen verstand, die ein Gefühl des Schwindels erregt und den Betrachtenden wie mit körperlichen Armen in den Bildhintergrund zieht. Diese Tiefe scheint nicht durch die gewöhnlichen Mittel der Zeichnung und Färbung erreicht; es scheint hier vielmehr neben der künstlerischen noch eine zauberische Perspektive lebendig zu sein. Denn so muß man ja wohl den Eindruck eines Bildes bezeichnen, das unter dem Blicke zu rauchen, zu brennen, sich zu bewegen oder zu erstarren und gläsern zu werden beginnt. Dieses Gefühl einer gläsernen Welt besaß ich vor jenen kleinen Stücken in hohem Maße, vor ihren wunderlich zartgefiederten Bäumen, vor ihren strohgedeckten Hütten, die ausgestorben und doch irgendwie magisch bewohnt erschienen, vor dem schillernden Blau glasiger Flüsse, in denen sie sich spiegelten und die gleichermaßen durchsichtig und unergründlich waren. Diese Bäume waren, als ob sie gleich sprechen, diese Hütten, als ob sie gleich ihre Tür öffnen und eine sonderbare Gestalt erscheinen lassen, diese Gewässer, als ob sie gleich einen prächtigen, schuppenglitzernden Fisch als Geschenk der Tiefe aus sich hervorheben würden. Ich mußte an die Seele denken, die ich als Kind mir wie eine Maus vorzustellen pflegte: Wenn man ganz still und verloren im Zimmer sitzt, sieht man sie plötzlich aus dem Dunkel ihrer Höhle huschen, sehr vertraut, lange bekannt, und doch fremd, unheimlich, ja etwas abstoßend zugleich. Aber wie man im Zimmer überrascht, neugierig und ein wenig erschreckt, mit äußerster Schärfe diesen kleinen, grauhuschenden Schatten ins Auge faßt und kaum zu atmen wagt, so ist man gespannt wie der Jäger und geängstigt wie das Wild überall, wo die Seele für einen kurzen Augenblick im Zwielicht sich aus ihren Dickichten wagt.
    Dies war auch von je der eigentliche Wert der Kunstwerke für mich. Wer sich lange und geduldig damit beschäftigte, Menschen vor die Mündung seines Gewehres zu bringen, der weiß, daß dies nur in sehr seltenen und bedeutsamen Augenblicken möglich ist, denn es gehört viel dazu, ehe der Mensch seinen Körper vergißt. Ebenso selten und für eine ebenso kurze Spanne gibt ein Kunstwerk sein Wesentlichstes preis, seine Essenz, den großen und eigenartigen Appell der menschlichen Seele an das Unendliche.
    Wie und weil das Leben durchaus kriegerisch ist, so ist es auch von Grund auf bewegt. Und wie man im grimmigen und prächtigen Augenfunkeln und in der wechselnden Spannung von Sprung und Haltung die innere Bewegung des Gegners errät, so trifft zuweilen ein Satz, ein Ton, ein Vers oder ein Bild wie ein Pistolenschuß. Diese Augenblicke, die allein das Leben des Lebens würdig machen, wiederholen sich schon deshalb nicht, weil so nur einmal empfangen wird; alle späteren Entzückungen sind nur gespiegelter Glanz. Deshalb sollten Menschen, deren Leben sich dynamisch bestimmt, nicht die Bilder und Dinge, die sie am höchsten schätzen, stets blickgerecht in ihrer Nähe dulden. Dies mag für beschauliche Gemüter, Wissenschaftler oder geistige Arbeiter passend sein, aber nicht für Naturen, die nur dort fruchtbar sind, wo im Blitzstrahl empfangen wird. Daher kommt es auch, daß so oft Meister zweiten und dritten Ranges dem Geiste die lockendsten und heimlichsten Feste bereiten, nachdem die allgemeine Anerkennung die großen Gipfel allzu zugänglich gemacht, die fernen, heroischen Landschaften in öffentliche Anlagen verwandelt hat.
    Die Ruhe des wirklichen Schauens ist nur eine scheinbare, das Schauen ist ein höchster und wildester Bewegungsprozeß. Die Schönheit läßt sich nicht durch Kunst- und Literarhistoriker vorverdauen, sie ist lebendig und geschmeidig wie ein Fisch, den es an seinen blutroten Kiemen zu packen gilt, wenn man den schnellenden und noch im sprühenden Wasser funkelnden erbeuten will.
    Das Wunderbare, das tiefer als die Schönheit ist und sich durch sie als eines seiner Mittel offenbart, teilte sich so durch Träume, Bücher und Bilder mit und störte die Bestrebungen einer Erziehung, die es gänzlich zu vernichten und auszurotten suchte – oder auch zu erklären, was ja wohl dasselbe ist. Diese Unterstützung des Wunderbaren war stark, stärker, als es dem Bewußtsein klar wurde, ja manchmal sogar ins Körperliche übergreifend. Wer Sinn dafür besitzt, hat diese Angriffe des Wunderbaren auf die

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