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Ein abenteuerliches Herz

Ein abenteuerliches Herz

Titel: Ein abenteuerliches Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz Ludwig Arnold
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erreichbar scheint und in der alles Dunkle und Unbekannte eine mächtige Anziehung übt. Lange, halb trunkene Wachträume während meiner nächtlichen Spaziergänge über den Stadtwall hatten mir jene entfernten Länder so nahegerückt, daß nur noch der Entschluß nötig schien, um in sie einzudringen und ihrer Genüsse teilhaftig zu sein. Das Wort »Urwald« schloß für mich ein Leben ein, dessen Aussicht man mit sechzehn Jahren nicht widersteht – ein Leben, das der Jagd, dem Raube und seltsamen Entdeckungen zu widmen war.
    Eines Tages stand es für mich fest, daß der verlorene Garten im oberen Stromgeflecht des Niles oder des Kongo verborgen lag. Und da das Heimweh nach solchen Orten zu den unwiderstehlichsten gehört, begann ich eine Reihe von tollen Plänen auszubrüten, wie man sich am besten dem Gebiete der großen Sümpfe, der Schlafkrankheit und der Menschenfresserei nähern könne. Ich heckte Gedanken aus, wie sie wohl jeder aus seinen frühen Erinnerungen kennt: ich wollte mich als blinder Passagier, als Schiffsjunge oder als wandernder Handwerksbursche durchschlagen. Endlich aber verfiel ich darauf, mich als Fremdenlegionär anwerben zu lassen, um auf diese Weise wenigstens den Rand des Gelobten Landes zu erreichen und um dann auf eigene Faust in sein Inneres vorzudringen – natürlich nicht, ohne mich zuvor an einigen Gefechten beteiligt zu haben, denn das Pfeifen der Kugeln kam mir wie eine Musik aus höheren Sphären vor, von der nur in den Büchern zu lesen war und deren teilhaftig zu werden man wallfahrten mußte wie die Amerikaner nach Bayreuth.
    Ich war also bereit, auf jedes Kalbsfell der Welt zu schwören, wenn es mich wie Fausts Zaubermantel bis zum Äquator getragen hätte. Aber auch die Fremdenlegion gehörte schließlich nicht zu den dunklen Mächten, die man nur an den nächsten Kreuzweg zu zitieren braucht, wenn man mit ihnen zu paktieren gedenkt. Irgendwo mußte es sie zwar geben, soviel war sicher, denn oft genug las ich in den Zeitungen über sie Berichte von so ausgesuchten Gefahren, Entbehrungen und Grausamkeiten, wie sie ein geschickter Reklamechef nicht besser hätte entwerfen können, um Tunichtgute meines Schlages anzuziehen. Ich hätte viel darum gegeben, wenn einer dieser Werber, die junge Leute betrunken machen und verschleppen und vor denen mit Engelszungen gewarnt wurde, sich an mich herangemacht hätte; doch diese Möglichkeit kam mir für unser so friedlich im Wesertale schlummerndes Städtchen recht unwahrscheinlich vor.
    So schien es mir denn richtiger, erst einmal die Grenze zu überschreiten, um damit den ersten Schritt aus der Ordnung in das Ungeordnete zu tun. Ich hatte die Vorstellung, daß das Wunderbare, das Reich der sagenhaften Zufälle und Verwicklungen sich mit jedem Schritt deutlicher offenbaren würde, wenn man den Mut hatte, sich aus dem Gewöhnlichen zu entfernen – man mußte seine Anziehung um so stärker erfahren, je mehr man ihm entgegenging.
    Es blieb mir aber nicht verborgen, daß jedem Zustand eine große Schwerkraft innewohnt, aus der sich herauszuspielen der bloße Gedanke nicht genügt. Freilich, wenn ich, etwa abends vor dem Einschlafen, daran dachte, auf und davon zu gehen, schien mir nichts leichter und einfacher, als mich gleich anzuziehen und auf dem Bahnhof in den nächsten Zug zu steigen. Aber sobald ich dann mich auch nur zu regen suchte, fühlte ich mich durch bleierne Gewichte beschwert. Dieses Mißverhältnis zwischen den ausschweifenden Möglichkeiten der Träumerei und den geringsten Maßnahmen zu ihrer Verwirklichung bereitete mir viel Verdruß. Wie mühelos ich auch im Geist die unwegsamsten Landschaften nach Herzenslust zu durchstreifen vermochte, so merkte ich doch zugleich, daß in der wirklichen Welt auch nur eine Fahrkarte zu lösen einen weit stärkeren Aufwand voraussetzte, als ich geahnt hatte.
    Wenn man, des Springens ungewohnt, auf einem hohen Sprungbrett steht, fühlt man sehr deutlich den Unterschied zwischen einem, der hinunter möchte, und einem anderen, der sich dagegen sträubt. Wenn der Versuch, sich selbst am Kragen zu nehmen und hinunterzuwerfen, mißglückt, so bietet sich ein anderer Ausweg an. Er besteht darin, daß man sich überlistet, indem man den Körper am äußersten Rand des Brettes solange ins Schwanken bringt, bis man sich plötzlich zum Absprung gezwungen sieht.
    Ich fühlte wohl, daß diesen Bemühungen, mir den ersten Anstoß in die Abenteuerwelt zu geben, nichts hinderlicher war als meine

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