Ein abenteuerliches Herz
denn auch zu Zeiten, in denen das Zweckmäßige das Leben regiert, die Herzen der Narren das einzig Unzweckmäßige und die Irrwege der jungen Leute das einzige Zeichen, daß noch ein Gefühl für andere Bahnen als die der Heerstraße besteht.
Früh schon hatte ich eine Ahnung, als ob weite Gebiete des Lebens unserer Zeit verschlossen wären, als ob alle Dinge viel brennender empfunden werden müßten und als ob es eigentlich nur unsere Masken wären, die mit solcher Geschäftigkeit ihr Wesen trieben. Schon als ich noch nicht zur Schule ging, hegte ich Verdacht, daß die Großen irgendwie Theater spielten, daß das, was ich zu sehen bekam, nur das Belanglose wäre und daß das Wichtige und Entscheidende in geheimen Zimmern abgehandelt würde. Es war die Frage nach dem Warum, die sich bei einer andersartigen Begabung vielleicht in der Form eines ersten erkenntniskritischen Zweifels geäußert hätte, so aber nur als drohende Kälte empfunden und abgewehrt wurde durch den festen Glauben an einen zwar verborgenen, doch unbedingt vorhandenen Sinn. Doch der Mensch wird größer, und es gibt immer weniger Kulissen, die er nicht auch von der Rückseite kennt. Und das größte Erstaunen, das er erlebt, ist das, daß das Leben wirklich verflucht alltäglich ist. Das Kind stirbt immer mehr in ihm und damit jene Liebe, die noch die Maßlosigkeit der Verschwendung kennt und die Unbedingtheit des Ergriffenseins.
Ich schätze die Gesprächigkeit nicht, aber ich entsinne mich hier einer flüchtigen Laune, die mich eines Tages trieb, einem Kinde, das in seinem Wägelchen saß, eines jener Spielzeuge zu schenken, die jeder Straßenhändler für wenige Pfennige verkauft. Es sind dies Dinge, die wir für gewöhnlich übersehen, gebogene Rosetten aus buntem Karton, die sich um Nadeln an roten Stielen drehen, oder Papageienfedern, die an kleinen Holzscheiben zu Windrädern geordnet sind. Das Ganze ist ein farbiges Etwas, das kreist, sehr einfach, aber gerade deshalb geeignet, die ersten Aussagen zu machen über das, was Farbe und Bewegung ist. Wir haben heutzutage wenig Zeit, auf Kinder zu achten, deshalb machte das, was ich bei dieser Gelegenheit sah, einen besonders starken Eindruck auf mich. Es war das erste Entzücken, noch von keinem Tropfen der Kritik getrübt. Große, gläubig-ungläubige Augen, ein Atem, der plötzlich stockt, fast wie durch einen jähen Schreck in die kleine Brust zurückgedrängt, und dann ein so fröhliches, heißes Begreifen und Ergreifen – soviel ist gewiß, daß wir uns sehr schämen müssen über das, was aus uns geworden ist. Wir gleichen den Erwachsenen, die überheblich durch den Trubel des Jahrmarktes schreiten, durch eine Welt des Lebens, in der nur die Kinder wirkliche Menschen sind. Es ist nicht die größte Sünde, böse zu sein, sondern stumpf, und das Wort von den Lauen, welche ausgespieen werden sollen, ist ein herrliches Wort der göttlichen Unbarmherzigkeit.
Später, als ich in die alte Stadt kam, gab mir ein wachsendes Gefühl für Werte größere Sicherheit. Einige Male war ich während der Ferien im Museum der Provinzialhauptstadt, in der ich einen Teil meiner Kindheit verbracht hatte und in der meine Großeltern wohnten. Gern verbrachte ich dort die Sonntagvormittage in der Gemäldegalerie. Obwohl ich dank einer zeitgemäßen Erziehung nicht zu glauben glaubte, denn so ist jener seltsam zwiespältige Zustand wohl am besten ausgedrückt, so wurde ich doch vor mittelalterlichen Bildern tief berührt So fiel mir auf, daß manche der in bunte Gewänder gekleideten Gestalten höchst merkwürdige, ja beunruhigende Gesichter besaßen. Es war sehr rätselhaft, wie diese oft bäuerischen und hölzernen, wie mit dem groben Messer zugestutzten Züge dennoch ein Glanz verklären konnte, der jenseits der Möglichkeiten des Pinsels und der Farbe zu liegen schien. Da hielten Männer, die unter Steinwürfen zusammenbrachen, über denen scharfe Messer tödlich geschwungen wurden oder an denen satanische Wesen ihr blutiges Handwerk übten, das Haupt erhoben, strahlend in der Weißglut des Martyriums, während über ihnen aus zerrissenen Wolken das Leuchtauge Gottes im Dreieck erschien. Hier drang aus einer volleren Vergangenheit die Mahnung eines Sinnes, für den das Organ fast verlorengegangen war und die daher mit unbewußter Scheu wie eine Stimme aus dem Unsichtbaren vernommen wurde.
So war denn auch das Verhältnis zu anderen Bildern, in denen das Geheimnisvolle sich durch die verständlichere
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