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Ein abenteuerliches Herz

Ein abenteuerliches Herz

Titel: Ein abenteuerliches Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz Ludwig Arnold
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eines Tages durchstürzen werden und der sich zwischen der Erkenntnis des Unterganges und dem Untergange erstreckt?
    Leipzig
    Traum: Ich schlief in einem altertümlichen Hause und erwachte durch eine Reihe seltsamer Töne, die wie ein nasales »dang, dang, dang« klangen und mich sofort auf das höchste beunruhigten. Ich sprang auf und lief mit gelähmtem Kopfe um einen Tisch. Als ich an der Tischdecke zog, bewegte sie sich. Da wußte ich: es ist kein Traum, du bist wach. Meine Angst steigerte sich, während das »dang, dang« immer schneller und drohender klang. Es wurde durch eine geheimnisvolle, in der Mauer verborgene Warnungsplatte hervorgebracht. Ich lief ans Fenster, aus dem ich auf eine alte, ganz schmale Gasse blickte, die im tiefen Schachte der Häuser lag. Unten stand eine Gruppe von Menschen, Männer mit hohen, spitzen Hüten, Frauen und Mädchen, altertümlich und unordentlich angetan. Sie schienen eben aus den Häusern auf die Gasse gelaufen zu sein; ihre Stimmen schollen zu mir herauf. Ich hörte den Satz: »Der Fremde ist wieder in der Stadt.«
    Als ich mich umwandte, saß jemand auf meinem Bette. Ich wollte aus dem Fenster springen, aber ich war wie an den Boden gebannt. Die Gestalt erhob sich ganz langsam und starrte mich an. Ihre Augen waren glühend und nahmen mit der Schärfe des Anstarrens an Umfang zu, was ihnen etwas grauenhaft Drohendes verlieh. In dem Augenblick, in dem ihre Größe und ihr roter Glanz unerträglich wurden, zersprangen sie und rieselten in Funken herab. Es war, als ob glühende Kohlenbrocken einen Rost durchglitten. Nur die schwarzen, ausgebrannten Augenhöhlen blieben zurück, gleichsam das absolute Nichts, das sich hinter dem letzten Schleier des Grauens verbirgt.

AFRIKANISCHE SPIELE, 1936
    1
    Es ist ein wunderlicher Vorgang, wie die Phantasie gleich einem Fieber, dessen Keime von weither getrieben werden, von unserem Leben Besitz ergreift und immer tiefer und glühender sich in ihm einnistet. Endlich erscheint nur die Einbildung uns noch als das Wirkliche, und das Alltägliche als ein Traum, in dem wir uns mit Unlust bewegen wie ein Schauspieler, den seine Rolle verwirrt. Dann ist der Augenblick gekommen, in dem der wachsende Überdruß den Verstand in Anspruch nimmt und ihm die Aufgabe stellt, sich nach einem Ausweg umzusehen.
    Das war der Grund, aus dem das Wörtchen »fliehen« seinen besonderen Klang für mich besaß, denn von einer bestimmten Gefahr, die seine Anwendung berechtigt hätte, konnte schlecht die Rede sein – vielleicht abgesehen von den sich häufenden und in den letzten Wochen recht drohend gewordenen Klagen der Lehrerschaft, die sich mit mir wie mit einem Schlafwandler beschäftigte.
    »Berger, Sie schlafen, Berger, Sie träumen, Berger, Sie sind nicht bei der Sache«, war da der ewige Reim. Auch meine Eltern, die auf dem Lande wohnten, hatten bereits einige der bekannten Briefe bekommen, deren unangenehmer Inhalt mit den Worten »Ihr Sohn Herbert …« begann.
    Diese Klagen aber waren weniger die Ursache als die Folge meines Entschlusses – oder sie standen vielmehr in jener Wechselwirkung zu ihm, die abschüssige Bewegungen zu beschleunigen pflegt. Ich lebte seit Monaten in einem geheimen Aufstand, der in solchen Räumen schlecht verborgen bleiben kann. So war ich bereits dazu übergegangen, mich am Unterricht nicht mehr zu beteiligen und mich statt dessen in afrikanische Reisebeschreibungen zu vertiefen, die ich unter dem Pult durchblätterte. Wenn eine Frage an mich gerichtet wurde, mußte ich erst all jene Wüsten und Meere überwinden, bevor ich ein Lebenszeichen gab. Ich war im Grunde nur als Stellvertreter eines fernen Reisenden anwesend. Auch liebte ich es, ein plötzliches Unwohlsein vorschützend, das Klassenzimmer zu verlassen, um unter den Bäumen des Schulhofes spazierenzugehen. Dort sann ich über die Einzelheiten meines Planes nach.
    Schon hatte der Klassenlehrer das vorletzte Mittel der Erziehung gegen mich ergriffen, das die endgültige Trennung andeuten soll – ich wurde von ihm als Luft behandelt, »mit Nichtachtung gestraft«. Es war ein schlimmes Zeichen, daß selbst diese Strafe nicht mehr verfing – ein Zeichen dafür, wie sehr ich eigentlich schon abwesend war. Diese Absonderung durch Verachtung war mir eher angenehm; sie legte einen leeren Raum um mich, in dem ich mich ungestört meinen Vorbereitungen widmete.
    Es gibt eine Zeit, in der dem Herzen das Geheimnisvolle nur räumlich, nur auf den weißen Flecken der Landkarte

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