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Ein abenteuerliches Herz

Ein abenteuerliches Herz

Titel: Ein abenteuerliches Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz Ludwig Arnold
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vor mich hin.
    Auch war mir die Gesellschaft neu, die sich, ohne mich zu beachten, lebhaft unterhielt und durch die Aus- und Zusteigenden mannigfaltigen Wechsel erfuhr. Zuweilen traten merkwürdige Gestalten ein, um kleine, verbotene Schaustellungen zu geben und, nachdem sie mit ihrem Hute die Runde gemacht hatten, am nächsten Haltepunkt wieder zu verschwinden – so ein ausgemergelter Geselle, der, nachdem er sich in einer überraschenden Ansprache wundersamer Künste gerühmt, einen schmalen Degen aus seinem Stocke zog und ihn mehrere Male bis zum Griff im Munde verschwinden ließ. Auch ein dicker, leutseliger Herr, der etwas betrunken war und mit kräftiger Stimme einige Lieder wie »Kehrt ein Student um Mitternacht« oder »Der Liebe geweihter Altar« zum besten gab, fuhr eine Strecke lang mit. So fand ich denn, in meine Ecke gedrückt, daß die Reise ganz gut begann, und die zwei Stunden bis zur Großstadt waren bald vorbei.
    Auf dem Hauptbahnhof forderte ich eine Fahrkarte nach Trier und hatte dabei das Gefühl, eine so auffällige Handlung zu begehen wie etwa einer, der ein Billett nach dem Amazonenstrom verlangt. Allein der Mann am Schalter nahm zu meiner geheimen Freude ganz gleichgültig das Geld in Empfang und beantwortete ebenso gleichgültig meine Frage nach der Abfahrtzeit. Der nächste Zug in dieser Richtung fuhr erst mitten in der Nacht, und so gab ich denn meinen Rucksack ab, um in die Stadt zu gehen. Es regnete immer noch, und ich trieb mich eine Zeitlang planlos in den Straßen umher. Es kam mir darauf an, in Bewegung zu bleiben und die Zeit totzuschlagen, deren plötzlicher Überfluß mir lästig war.
    Bald wirkte jedoch die Schwerkraft auf mich ein, mit der jede Großstadt sich den Obdachlosen unterwirft, um ihn an ganz bestimmte Punkte zu ziehen. Ich folgte dem Verkehr, der noch lebendig war, bis in die Hauptstraße, um endlich von einem jener überdachten Verkaufsgänge eingesogen zu werden, die man Passagen nennt und in denen man zu jeder Stunde auf Gestalten stoßen wird, deren einzige Aufgabe im Schlendern oder im Verweilen besteht.
    Hier fühlte ich mich geborgener, zugehöriger – ich hatte bereits vorhin im Zuge unklar gespürt, daß es für einen, der auf Abenteuer zieht, einen leeren Raum nicht gibt, sondern daß er bald mit unbekannten Kräften Berührung gewinnt. Es wird ihm, allein durch die veränderte Art, sich zu bewegen, ein neues Treiben sichtbar, das dem Müßiggange, dem Verbrechen, dem Vagantentum gewidmet ist – eine breite und überall verteilte Schicht, die das bürgerliche Element begrenzt und ihn als Bundesgenossen in Anspruch zu nehmen sucht.
    Dieser Ort, an dem die Straße etwas von der verdächtigen Wärme eines rot beleuchteten Hausflures gewann und die Geschäfte an die Schaubuden auf den Jahrmärkten erinnerten, schien mir wohl geeignet für jemanden, der sich auf der Flucht befand und der zuweilen verstohlen mit der Hand in die Hosentasche fuhr, um den angerauhten Griff eines sechsschüssigen Revolvers zu liebkosen.
    Ich verbrachte einige Zeit damit, die zweifelhaften Postkarten zu studieren, die in ungeheuren Mengen hinter den Schaufenstern aushingen. Dann zog mich der grelle Eingang eines Wachsfigurenkabinetts an. Mit beklommener Neugier wandelte ich in vielen verwinkelten Räumen zwischen den starren Abbildern berühmter und berüchtigter Zeitgenossen umher, mannigfaltigen Beispielen für die beiden Richtungen, in denen man die Heerstraße des gewöhnlichen Lebens verlassen kann. Vor dem letzten Zimmer wurde noch ein besonderes Eintrittsgeld erhoben: eine Sammlung von anatomischen, elektrisch beleuchteten Gebilden war dort unter Glasstürzen aufgebaut. Unerhörte Krankheiten waren da mit blauen, roten und grünen Farben auf wächserne Körperteile gemalt. Bei den ganz schrecklichen dachte ich mit einer halb grausenden Befriedigung: »Die kommen gewiß nur in den Tropen vor!«
    Dem Wachsfigurenkabinett gegenüber, auf der anderen Seite des Ganges, lag ein erleuchtetes Restaurant. Beim Eintreten sah ich, daß es automatisch betrieben war. Die verschiedensten, für das Auge bunt zubereiteten Speisen standen auf runden Platten oder in kleinen Aufzügen zur Wahl, und man brauchte nur ein Geldstück einzuwerfen, um durch ein schnurrendes Uhrwerk bedient zu werden. Ebenso konnte man kleine Hähne veranlassen, alle Getränke, die man sich denken mochte, in ein daruntergehaltenes Glas zu sprudeln. Für den, der so, von unsichtbaren Kräften bedient, gespeist und

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