Ein abenteuerliches Herz
finden sie seit langem mit erstaunlicher Regelmäßigkeit ihre fünfzehn Leser im Vierteljahr. Ein solcher Zuspruch erinnert an gewisse Blumen, wie an Silene noctiflora, deren während einer einzigen Nachtstunde geöffnete Kelche eine winzige Gesellschaft beflügelter Gäste umkreist.
Dennoch ist für den Autor gerade die Wiederaufnahme des bereits Abgeschlossenen von besonderem Wert – als seltene Gelegenheit, die Sprache im Stück, gewissermaßen mit dem Auge des Bildhauers, zu erfassen und an ihr als an einem Körper zu arbeiten. Auf diese Weise hoffe ich noch ein wenig schärfer zu treffen, was den Leser vielleicht fesselte. Zunächst soll an Abstrichen nicht gespart und sodann das so Gewonnene aus dem Vorrat ergänzt werden. Auch sind einige verbotene Stücke nachzutragen, die ich damals zurücklegte – denn was die Gewürze betrifft, so gewinnt man erst im Laufe der Zeit die sichere Hand.
Als Form dieses Mannigfaltigen schwebt mir eine jener Vertiefungen vor, wie man sie auf Alpengängen zuweilen in ausgetrockneten Bachbetten erblickt. Wir finden da grobe Stücke, geschliffene Kiesel, blinkende Splitter und Sand – ein buntes Geröll, wie es der Strudel im Frühling und Herbst aus den oberen Schichten zu Tale trug. Hin und wieder greifen wir ein Fundstück mit der Hand und wenden es vor den Augen hin und her – vielleicht einen Bergkristall, vielleicht ein zerbrochenes Schneckenhaus, an dem uns der Bau der inneren Spindel überrascht, oder einen mondblassen Tropfsteinzacken aus den unbekannten Höhlen, in denen die Fledermaus ihre lautlosen Kreise beschreibt. Hier ist die Heimat der Capriccios, nächtlicher Scherze, die der Geist ohne Regung wie in einer einsamen Loge und nicht ohne Gefährdung genießt. Doch gibt es auch runde Granite, die in den Gletschermühlen geschliffen sind, an Punkten weiter Aussicht, an denen die Welt ein wenig kleiner, aber auch klarer und regelmäßiger, wie auf gestochenen Landkarten, erscheint, denn die hohe Ordnung ist im Mannigfaltigen wie in einem Vexierbild versteckt. Das sind erstaunliche Rätsel – mit wachsender Entfernung nähern wir uns der Auflösung. Am äußersten Punkt, im Unendlichen, wird sie erfaßt.
An Stoff ist also kein Mangel, doch soll ihm die Sprache noch etwas hinzufügen. Sie hat das Wasser wieder herbeizuzaubern, das mit und über diesen Gebilden spielt – ein Wasser, das zugleich bewegt und durchsichtig ist.
Violette Endivien
Steglitz
Ich trat in ein üppiges Schlemmergeschäft ein, weil eine im Schaufenster ausgestellte, ganz besondere, violette Art von Endivien mir aufgefallen war. Es überraschte mich nicht, daß der Verkäufer mir erklärte, die einzige Sorte Fleisch, für die dieses Gericht als Zukost in Frage komme, sei Menschenfleisch – ich hatte das vielmehr schon dunkel vorausgeahnt.
Es entspann sich eine lange Unterhaltung über die Art der Zubereitung, dann stiegen wir in die Kühlräume hinab, in denen ich die Menschen, wie Hasen vor dem Laden eines Wildbrethändlers, an den Wänden hängen sah. Der Verkäufer hob besonders hervor, daß ich hier durchweg auf der Jagd erbeutete und nicht etwa in den Zuchtanstalten reihenweise gemästete Stücke betrachtete: »Magerer, aber – ich sage das nicht, um Reklame zu machen – weit aromatischer.« Die Hände, Füße und Köpfe waren in besonderen Schüsseln ausgestellt und mit kleinen Preistäfelchen besteckt.
Als wir die Treppe wieder hinaufstiegen, machte ich die Bemerkung: »Ich wußte nicht, daß die Zivilisation in dieser Stadt schon so weit fortgeschritten ist« – worauf der Verkäufer einen Augenblick zu stutzen schien, um dann mit einem sehr verbindlichen Lächeln zu quittieren.
Das Entsetzen
Berlin
Es gibt eine Art von dünnem und großflächigem Blech, mittels dessen man an kleinen Theatern den Donner vorzutäuschen pflegt. Sehr viele solcher Bleche, noch dünner und klangfähiger, denke ich mir in regelmäßigen Abständen übereinander angebracht, gleich Blättern eines Buches, die jedoch nicht gepreßt liegen, sondern durch eine sperrige Vorrichtung voneinander entfernt gehalten sind.
Auf das oberste Blatt dieses gewaltigen Stoßes hebe ich dich empor, und sowie das Gewicht deines Körpers es berührt, reißt es krachend entzwei. Du stürzt, und stürzest auf das zweite Blatt, das ebenfalls und mit heftigerem Knalle zerbirst. Der Sturz trifft auf das dritte, vierte und fünfte Blatt und so fort, und die Steigerung des Falles läßt die Schläge in einer
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