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Ein abenteuerliches Herz

Ein abenteuerliches Herz

Titel: Ein abenteuerliches Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz Ludwig Arnold
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getrunken hatte, standen andere Apparate bereit, die bunte Bilder zeigten oder in Hörmuscheln kurze Musikstücke ertönen ließen. Selbst der Geruchssinn war nicht vergessen, denn es gab auch sinnreiche Zerstäuber, aus denen man sich durch winzige Düsen wohlriechende Flüssigkeiten mit exotischen Namen auf den Anzug sprühen lassen konnte.
    Die geisterhafte Bedienung schien mir äußerst bequem und wie geschaffen für einen, der triftige Gründe zur Zurückhaltung besitzt. Ich begann, verschiedene Salate und belegte Brötchen hervorzuzaubern, und trank dazu weit über den Durst, schon aus Neugierde, die Getränke mit den seltsamen Namen kennenzulernen. Ich sah mir die Bilder an, die eins nach dem andern herunterklappten, wenn man an einer Kurbel drehte, und denen man Überschriften wie »Der Besuch der Schwiegermutter« oder »Die gestörte Brautnacht« gegeben hatte. Dann ließ ich mir Musikstücke vorspielen und setzte die Parfümzerstäuber in Tätigkeit.
    Diese Zerstreuungen bereiteten mir ein Vergnügen, das, wie jede Berührung mit der automatischen Welt, nicht ohne einen Stich von Bösartigkeit war. Ich wußte nicht, daß gerade an solchen Orten die Polizei ihre besten Fischgründe besitzt.
    Es war hohe Zeit, als ich mich wieder zum Bahnhof begab. Der Zug wartete auf einem verödeten Bahnsteige, der vom weißen Licht elektrischer Bogenlampen überflossen war. Fast alle Wagen standen leer. Ich streckte mich auf eine Bank, legte meinen Rucksack unter den Kopf und breitete den Regenmantel über mich aus. Das Lager war hart und ungewohnt, allein ich war von den verschiedenen Likören halb betäubt, so daß ich schon fest eingeschlafen war, ehe die Fahrt begann.
    Mitten in der Nacht wachte ich auf. Ein Eisenbahner mit einer kleinen Lampe schüttelte mich und fragte nach meinem Reiseziel. Er sah mich mißtrauisch an, denn ich mußte erst meinen Fahrschein hervorsuchen, um ihm Auskunft geben zu können. Endlich brummte er:
    »Hier ist Endstation! Anschluß um fünf Uhr früh!«
    Ich nahm also meinen Rucksack auf und setzte mich in den leeren Wartesaal. Ich verspürte nun eine üble Nüchternheit, und auch an die Liköre hatte ich eine fade Erinnerung. Wieder kam mir der Einfall umzukehren, und wieder murmelte ich, allerdings schon bedeutend schwächer, mein »Rückkehr ist ausgeschlossen« vor mich hin. Allerlei lästige Gedanken tauchten auf, wie sie uns in den Morgenstunden solcher Unternehmungen zu beschleichen pflegen, so etwa der, daß es doch selbst in der Schule nicht langweiliger und ungemütlicher sei.
    Ein anderer Umstand, der mich beunruhigte, lag in der Wahrnehmung, daß sich mein Zeitgefühl auf eine seltsame Weise zu verändern begann. So schien es mir ganz unglaublich, daß seit meiner Flucht noch nicht einmal ein voller Tag verstrichen war und daß, wenn ich zu Hause geblieben wäre, ich jetzt noch über vier Stunden im Bette liegen könnte, ehe Frau Krüger mich aus dem Schlafe wecken würde. Wie ich auch nachrechnen mochte – es blieb unzweifelhaft, daß ich mich nicht etwa schon seit einem Jahre, sondern erst seit wenigen Stunden auf dem Wege befand. Dieses Mißverhältnis hatte etwas Erschreckendes; es bestätigte mir mehr als alles andere, daß ich in ganz neue Bereiche eingetreten war.
    Das Ungemütliche der Lage wurde gleichsam unterstrichen durch die Figur eines Stationsbeamten, der hin und wieder den Saal durchschritt, ohne mich eines Blickes zu würdigen, und den eine Witterung von behaglicher Geschäftigkeit und frisch aufgebrühtem Kaffee umgab. Er trug seinen Dienstrock bequem aufgeknöpft, und ein stattlicher Pfeifenkopf, dem er mächtige blaue Wolken zu entlocken verstand, hing ihm an einem gebogenen Mundstück bis zur Brust herab.
    Sein Anblick erfüllte mich halb mit Neid, halb fühlte ich mich auf eine merkwürdige Weise durch ihn erquickt, wie ein Wanderer durch ein Licht, das er in großer Ferne neben seinem Wege leuchten sieht.

DAS ABENTEUERLICHE HERZ. Zweite Fassung, 1938
    Figuren und Capriccios
    Die Kiesgrube
    Goslar
    Die eigenen Bücher nimmt man deshalb so ungern zur Hand, weil man sich ihnen gegenüber als Falschmünzer erscheint. Man ist in der Höhle des Ali Baba gewesen und hat nur eine lumpige Handvoll Silber zutage gebracht. Auch hat man das Gefühl, zu Zuständen zurückzukehren, die man abstreifte wie eine vergilbte Schlangenhaut.
    So ergeht es mir auch mit diesen Aufzeichnungen, die ich nach fast zehn Jahren zum ersten Male wieder aufschlage. Wie ich höre,

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