Ein abenteuerliches Herz
auch die Grenzen des Rechtes eingehalten; das führt auf die Dauer zum Triumph.
Daß es nun einen Rechtsweg gebe, den alle im Grunde anerkennen, darüber kann kein Zweifel sein. Ganz sichtbar bewegen wir uns aus den Nationalstaaten, ja aus den Großräumen heraus zu planetarischen Ordnungen. Diese sind durch Verträge zu erreichen, falls nur die Partner den Willen dazu haben, wie es vor allem eine Lockerung der Souveränitätsansprüche zu erweisen hätte – denn im Verzicht verbirgt sich die Fruchtbarkeit. Es gibt Ideen, und es gibt auch Tatsachen, auf denen ein großer Friede errichtet werden kann. Das setzt voraus, daß man die Grenzen achtet; Annektion von Provinzen, Bevölkerungsabschub, Errichtung von Korridoren und Trennung nach Breitengraden verewigen die Gewalt. Es ist daher ein Vorteil, daß es zum Frieden noch nicht gediehen ist und damit das Ungeheuerliche noch der Sanktion entbehrt.
Der Friede von Versailles schloß bereits den Zweiten Weltkrieg ein. Auf offene Gewalt begründet, gab er das Evangelium, auf das jede Gewalttat sich bezog. Ein zweiter Friede nach diesem Muster würde noch kürzer dauern und die Zerstörung Europas einschließen.
Soviel in Kürze, da uns hier andere als politische Ideen beschäftigen. Es handelt sich vielmehr um die Gefährdung und um die Furcht des Einzelnen. Der gleiche Zwiespalt beschäftigt ja auch ihn. An sich belebt ihn der Wunsch, sich seinem Beruf und seiner Familie zu widmen, seinen Neigungen nachzugehen. Dann macht die Zeit sich geltend – sei es, daß die Bedingungen allmählich sich verschlechtern, sei es, daß er sich plötzlich von extremer Seite aus angegangen sieht. Enteignung, Zwangsarbeit und Schlimmeres tauchen in seinem Umkreis auf. Bald wird ihm deutlich, daß Neutralität mit Selbstmord gleichbedeutend wäre – hier heißt es, mit den Wölfen heulen oder gegen sie ins Feld ziehen.
Wie findet er in solcher Bedrängnis ein Drittes, das nicht gänzlich in der Bewegung untergeht? Wohl nur in seiner Eigenschaft als Einzelner, in seinem menschlichen Sein, das unerschüttert bleibt. Es ist in solchen Lagen als großes Verdienst zu preisen, wenn die Kenntnis des rechten Weges nicht gänzlich verloren geht. Wer Katastrophen entronnen ist, der weiß, daß er es im Grunde der Hilfe von einfachen Menschen verdankt, über die der Haß, der Schrecken, der Automatismus der Gemeinplätze nicht Macht gewann. Sie widerstanden der Propaganda und ihren Einflüsterungen, die rein dämonisch sind. Unendlicher Segen kann erwachsen, wenn diese Tugend in den Führern der Völker, wie in Augustus, sichtbar wird. Darauf begründen sich Imperien. Der Fürst herrscht nicht, indem er tötet, sondern indem er das Leben schenkt. Darin liegt eine der großen Hoffnungen: daß unter den zahllosen Millionen ein vollkommener Mensch auftrete.
Soviel zur Theorie der Katastrophe. Es steht nicht frei, sie zu vermeiden, doch gibt es Freiheit in ihr. Sie zählt zu den Prüfungen.
REHBURGER REMINISZENZEN, 1967
Die Jagd konnte beginnen: der Vater hatte uns zu Weihnachten die Ausrüstung geschenkt. Die Alten sahen es gern, wenn die Söhne Steine, Pflanzen und Tiere eintrugen, wie es seit Generationen Brauch gewesen war. Der Großvater hatte viele Stunden auf sein Herbarium verwandt. Das gehörte zum Bildungsgang der Seminare und wurde manchem der jungen Lehrer zur Gewohnheit, der er bis an sein Ende treu blieb und die auch für die Schüler fruchtete.
Die große Zeit für solche Neigungen war schon vorbei. Die eigentliche Naturkunde, das liebevolle Betrachten, Vergleichen, Ordnen und Beschreiben von Objekten, galt kaum noch als Wissenschaft. Dem Behagen an der Anschauung war der Genuß an der exakten, gezielten und messenden Beobachtung gefolgt.
Der Vater war noch ein guter Botaniker gewesen; die gewichtige, mit Tausenden von Holzschnitten gezierte »Synopsis der drei Naturreiche« des Hildesheimer Professors Johannes Leunis hatte zu seinen Schulbüchern gehört. Aber er war nicht der Bezauberung erlegen, mit der seit Linné die scientia amabilis über hundert Jahr lang die Geister in einen Bann geschlagen hatte, der uns unvorstellbar geworden ist. Obwohl mich auf unseren Gängen oft die Sicherheit erstaunte, mit der er ein unscheinbares Kraut ansprach, war er weniger mit den Tugenden der Pflanzen als mit ihrem Chemismus vertraut. Als Assistent von Victor Meyer, dessen Bild seine Bibliothek zierte, hatte er aus dem Waldmeister das Cumarin isoliert, einen Stoff, der inzwischen in der
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