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Ein abenteuerliches Herz

Ein abenteuerliches Herz

Titel: Ein abenteuerliches Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz Ludwig Arnold
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Parfümerie zur Erzeugung von Heu- und Lavendeldüften unentbehrlich geworden ist.
    Als Schüler schon hatte er sich unter dem Dach des elterlichen Hauses in der Hannoverschen Weinstraße ein kleines Laboratorium eingerichtet, in dem er nachts arbeitete. Auch abgesehen davon, daß dabei einmal etwas in die Luft geflogen war, behagte diese Vorliebe dem Großvater wenig, denn die Chemie galt damals noch als brotlose Kunst. Er legte dem Sohn daher auf, zugleich die Apothekerei zu betreiben und die dazu nötigen Examina zu bestehen. Das sollte sich übrigens als segensreich erweisen, denn als durch die Inflation nach dem Ersten Weltkrieg die Gelder rapid zusammenschmolzen, langten sie gerade noch, um in Sachsen eine gute Apotheke zu erstehen.
    Zur Zeit, als wir die Ausrüstung bekamen, lebten wir auf dem Lande; der Vater hatte sich schon vor dem fünfundvierzigsten Jahr zur Ruhe gesetzt. Nach diesem Datum sollte eigentlich niemand mehr arbeiten und jeder sich seinen Neigungen widmen – das war einer seiner vernünftigen Gedanken, dem ich von Herzen beistimmte, ja den ich im geheimen noch übertrumpfte: besser finge man mit dem Arbeiten gar nicht erst an.
    Der Vater machte seinem Sternzeichen, dem Widder, Ehre als Mensch von schnellen, zugreifenden und meist erfolgreichen Bewegungen. Das galt auch für seine Neigungen, die ihn nach kurzer Inkubationszeit heftig ergriffen und ein Jahrzehnt lang Tag und Nacht beschäftigten, bis er sie wechselte. Sie schwanden dann nicht ganz aus seinem Leben, doch verlor er die Leidenschaft dafür. Es schien, daß ihn, wenn er ein Feld beherrschte, die Lust daran verließ. So hörte er mit dem Geldverdienen auf, als es ihm leicht geworden war, und mit dem Autofahren gerade dann, als die Wagen zuverlässig und die Straßen bequem wurden. Offenbar ging es ihm eher um das Ergreifen als um den Besitz.
    Damals begann das Schachspiel im Haus zu dominieren; es wurde nach dem Frühstück begonnen und getrieben, bis der Mittag die Partie unterbrach. Auch nach dem Abendessen wurde oft noch bis über Mitternacht hinaus gespielt. Die großen Bretter mit den Stauntonfiguren durften nicht abgestaubt werden, weil Hängepartien auf ihnen eingefroren waren oder ein Problem konserviert wurde. Außerdem führte der Vater bei Tag und Nacht ein Steckschach in Form einer Brieftasche mit, um sich im Bett oder auf Reisen mit dem Spiel der Spiele zu beschäftigen.
    Die Ankunft von Bücherpaketen gehörte zu den ersten Anzeichen einer neuen Manie. In diesem Falle kam zunächst der »Kleine Dufresne« und dann der »Große Bilguer«; dem folgten alte Werke bis zurück zu Philidors Zeiten, Biographien berühmter Spieler, Reihen von Zeitschriftenjahrgängen. Damals erfuhr ich zum ersten Mal, daß man selbst auf so beschränktem Felde die Hoffnung, »vollständig zu werden«, bald aufgeben muß. Immerhin kam ein Grundstock zusammen, der sich auch Kennern vorzeigen ließ.
    Die Mutter, die andere Anschaffungen für wichtiger hielt, schüttelte oft den Kopf, wenn der Postbote kam. Aber in solchen Fragen können die Hausfrauen wenig ausrichten, denn im Rüstzeug sieht der Mann sich ungern beschränkt. Bedenklich wurde es nach dem Ersten Weltkrieg, als den Vater die Leidenschaft für Astronomie und Fernrohre ergriff. Da sollte ein neues Dach aufs Haus.
    Auf dem Lande sind die Schachspieler spärlich gesät. Ich glaube, es war Steinitz, der, um sich mit einem ebenbürtigen Gegner zu messen, einige Male in der Woche einen weiten Fußmarsch zurücklegte. Der Vater fuhr nach Hannover, wo sich in einem Café am Raschplatz die Schachfreunde versammelten. Auch lud er Gäste ein, die für Wochen oder Monate im Haus weilten – Liebhaber gleich ihm wie Leonhard, den Vorsitzenden des Leipziger Schachklubs Augustea, oder den jungen Lasker, einen Neffen des Weltmeisters, der auch schon auf Turnieren geglänzt hatte. Ein beliebter Hausgast war ein Berliner Student namens Pahl, der trotz seiner Jugend zu den Matadoren gezählt wurde. Schon als Gymnasiast hatte er Preise eingeheimst.
    Wenig erbaut war die Mutter über den Aufenthalt von Berufsspielern wie etwa des Herrn von Wurtensleben, der in seiner Jugend als Anwärter auf die Weltmeisterschaft gegolten hatte, nun aber recht hinfällig geworden war. Bei Tisch mußte man ihm das Fleisch vorschneiden. Nur am Schachbrett zeigte sich der alte Löwe noch. Der Vater spielte mit ihm turniermäßig; eine Doppeluhr stand zwischen beiden auf dem Tisch.
    Rotlevi kam aus Lodz als einer von der

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