Ein abenteuerliches Herz
Macht und Gestalt gewinne, wie das in den Revolutionsheeren nach 1789 und in der preußischen Armee nach 1806 der Fall gewesen ist. In dieser Hinsicht sind allerdings auch heute Machtentfaltungen möglich, welche aus anderen Prinzipien als aus denen der Totalen Mobilmachung Nahrung ziehen. Diese Prinzipien sind aber nicht den Nationen zugeordnet, sondern sie werden an jeder Stelle, wo Freiheit wach wird, anzuwenden sein. Technisch gesehen, erreichten wir einen Stand, in dem nur noch zwei Mächte völlig autark sind, das heißt: befähigt zu einem politisch-strategischen Verhalten, das, sich auf Großkampfmittel stützend, planetarischen Zielen gewachsen ist. Waldgang dagegen wird an jedem Punkte der Erde möglich sein.
Damit ist ferner gesagt, daß sich hinter dem Worte keine antiöstliche Absicht verbirgt. Die Furcht, die heute auf dem Planeten umgeht, ist weithin durch den Osten inspiriert. Sie äußert sich in gewaltigen Zurüstungen, sowohl auf materiellem wie auf geistigem Gebiet. Wie sehr das auch in die Augen springen möge, so handelt es sich doch nicht um ein Grundmotiv, sondern um eine Folge der Weltlage. Die Russen stecken in dem gleichen Engpaß wie alle anderen, ja sind vielleicht noch stärker in seinem Banne, wenn man die Furcht als Maßstab nehmen will. Die Furcht kann aber durch Rüstungen nicht vermindert werden, sondern nur dadurch, daß ein neuer Zugang zur Freiheit gefunden wird. In dieser Hinsicht werden sich die Russen und die Deutschen noch viel zu sagen haben; sie verfügen über die gleichen Erfahrungen. Der Waldgang ist auch für den Russen das Kernproblem. Als Bolschewik befindet er sich auf dem Schiffe, als Russe ist er im Wald. Durch dieses Verhältnis wird seine Gefährdung und seine Sicherheit bestimmt.
Die Absicht richtet sich überhaupt nicht auf die politisch-technischen Vordergründe und ihre Gruppierungen. Sie ziehen flüchtig vorüber, während die Bedrohung bleibt, ja schneller und stärker wiederkehrt. Die Gegner werden sich so ähnlich, daß man sie unschwer als Verkleidungen ein und derselben Macht errät. Es handelt sich nicht darum, die Erscheinung hier oder dort zu zwingen, sondern darum, die Zeit zu bändigen. Das fordert Souveränität. Und diese wird man heute weniger in den großen Entschlüssen finden als im Menschen, der in seinem Inneren der Furcht abschwört. Die ungeheuren Vorkehrungen sind gegen ihn allein gerichtet, und dennoch sind sie im letzten für seinen Triumph bestimmt. Diese Erkenntnis macht ihn frei. Dann sinken Diktaturen in den Staub. Hier liegen die kaum angeschürften Reserven unserer Zeit, und nicht nur der unseren. Diese Freiheit ist das Thema der Geschichte überhaupt und grenzt sie ab: hier gegen die Dämonenreiche, dort gegen das bloß zoologische Geschehen. Das ist im Mythos und in den Religionen vorgebildet und kehrt stets wieder, und immer erscheinen die Riesen und Titanen in gleicher Übermacht. Der Freie fällt sie; er braucht nicht immer ein Fürst und Herakles zu sein. Der Stein aus einer Hirtenschleuder, die Fahne, die eine Jungfrau aufnahm, und eine Armbrust haben schon genügt.
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Hier fügt sich eine andere Frage an. Inwiefern ist Freiheit wünschbar, ja überhaupt sinnvoll innerhalb unserer historischen Lage und ihrer Eigenart? Liegt denn nicht ein besonderes und leicht zu unterschätzendes Verdienst des Menschen dieser Zeit gerade darin, daß er in weitem Umfang auf Freiheit zu verzichten weiß? In vielem gleicht er einem Soldaten auf dem Marsche zu unbekannten Zielen oder dem Arbeiter an einem Palast, den andere bewohnen werden; und das ist nicht sein schlechtester Aspekt. Soll man ihn ablenken, solange die Bewegung im Gange ist?
Wer dem Geschehen, das mit so viel Leiden verbunden ist, sinnvolle Züge abzugewinnen sucht, macht sich zum Stein des Anstoßes. Dennoch sind alle Prognosen verfehlt, die auf der reinen Untergangsstimmung beruhen. Wir durchschreiten vielmehr eine Reihe immer deutlicherer Bilder, immer klarerer Prägungen. Auch Katastrophen unterbrechen kaum die Bahn, kürzen sie eher in vielem ab. Es ist kein Zweifel, daß Ziele vorhanden sind. Millionen stehen in ihrem Banne, führen ein Leben, das ohne diese Aussicht unerträglich wäre und das durch bloßen Zwang nicht zu erklären ist. Die Opfer werden vielleicht spät gekrönt, doch nicht vergeblich gewesen sein.
Wir berühren hier das Notwendige, das Schicksal, das die Gestalt des Arbeiters bestimmt. Geburten sind nie ohne Schmerz. Die Prozesse werden sich
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