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Ein abenteuerliches Herz

Ein abenteuerliches Herz

Titel: Ein abenteuerliches Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz Ludwig Arnold
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daß der Ausdruck bereits als eines der alten Isländerwörter Vorgeschichte hat, wenngleich er hier weiter gefaßt sein soll. Der Waldgang folgte auf die Ächtung; durch ihn bekundete der Mann den Willen zur Behauptung aus eigener Kraft. Das galt als ehrenhaft und ist es heute noch, trotz allen Gemeinplätzen.
    Der Ächtung war meist der Totschlag vorausgegangen, während sie heute automatisch, gleich der Umdrehung der Roulette, den Menschen trifft. Niemand weiß, ob er nicht schon morgen zu einer Gruppe gezählt wird, die außerhalb des Gesetzes steht. Dann wechselt der zivilisatorische Anstrich des Lebens, indem die komfortablen Kulissen schwinden und sich in Vernichtungszeichen umwandeln. Der Luxusdampfer wird zum Schlachtschiff, oder die schwarzen Piraten- und die roten Henkersflaggen werden auf ihm gehißt:
    Wer nun zu unserer Urväter Zeiten geächtet wurde, der war an eigene Gedanken, an hartes Leben und selbstherrliches Handeln gewöhnt. Er mochte sich in späteren Zeiten stark genug fühlen, auch noch den Bann in Kauf zu nehmen und nicht nur Kriegsmann, Arzt und Richter, sondern auch Priester aus Eigenem zu sein. So ist das heute nicht. Die Menschen sind im Kollektiven und Konstruktiven auf eine Weise eingebettet, die sie sehr schutzlos macht. Sie geben sich kaum darüber Rechenschaft, wie ganz besonders stark in unserer Zeit der Aufklärung die Vorurteile geworden sind. Dazu kommt das Leben aus Anschlüssen, Konserven und Leitungen; die Gleichschaltungen, Wiederholungen, Übertragungen. Auch mit der Gesundheit ist es meist nicht gut bestellt. Plötzlich kommt dann die Ächtung, oft wie aus heiterem Himmel: Du bist ein Roter, Weißer, Schwarzer, ein Russe, Jude, Deutscher, Koreaner, ein Jesuit, Freimaurer und in jedem Falle viel schlimmer als ein Hund. Da konnte man erleben, daß die Betroffenen in ihre eigene Verdammung mit einstimmten.
    Es dürfte daher nützlich sein, dem also Bedrohten die Lage zu schildern, in der er sich befindet und die er zumeist verkennt. Daraus läßt sich vielleicht die Art des Handelns ableiten. Wir sahen am Beispiel der Wahlen, wie fein verborgen die Fallen sind. Zunächst wären noch einige Mißverständnisse auszuschließen, die sich leicht an das Wort anheften und es in seiner Absicht schwächen könnten zugunsten beschränkter Zielsetzungen:
    Der Waldgang soll nicht verstanden werden als eine gegen die Maschinenwelt gerichtete Form des Anarchismus, obwohl die Versuchung dazu nahe liegt, besonders wenn das Bestreben zugleich auf eine Verknüpfung mit dem Mythos gerichtet ist. Mythisches wird ohne Zweifel kommen und ist bereits im Anzuge. Es ist ja immer vorhanden und steigt zur guten Stunde wie ein Schatz zur Oberfläche empor. Doch wird es gerade der höchsten, gesteigerten Bewegung entspringen als anderes Prinzip. Bewegung in diesem Sinne ist nur der Mechanismus, der Schrei der Geburt. Zum Mythischen kehrt man nicht zurück, man begegnet ihm wieder, wenn die Zeit in ihrem Gefüge wankt, und im Bannkreis der höchsten Gefahr. Auch heißt es nicht, der Weinstock oder – sondern es heißt: der Weinstock und das Schiff. Es wächst die Zahl derjenigen, die das Schiff verlassen wollen und unter denen auch scharfe Köpfe und gute Geister sind. Im Grunde heißt das, auf hoher See aussteigen. Dann kommen der Hunger, der Kannibalismus und die Haifische, kurz, alle Schrecken, die uns vom Floße der »Medusa« berichtet sind. Es ist daher auf alle Fälle rätlich, an Bord und auf Deck zu bleiben, selbst auf die Gefahr hin, daß man mit in die Luft fliegen wird.
    Der Einwand richtet sich nicht gegen den Dichter, der die gewaltige Überlegenheit der musischen über die technische Welt sichtbar macht, sowohl im Werk als in der Existenz. Er hilft dem Menschen, zu sich zurückzufinden: der Dichter ist Waldgänger.
    Nicht minder gefährlich wäre die Beschränkung des Wortes auf den deutschen Freiheitskampf. Deutschland ist durch die Katastrophe in eine Lage geraten, die eine Heeresneuordnung bedingt. Eine solche Neuordnung hat seit der Niederlage von 1806 nicht stattgefunden – denn obwohl sich die Armeen sowohl im Umfang als auch technisch und taktisch auf das stärkste verändert haben, beruhen sie dennoch auf den Grundgedanken der Französischen Revolution, wie alle unsere politischen Einrichtungen. Eine echte Heeresreorganisation besteht jedoch nicht darin, daß man die Wehrmacht auf Luft- oder Atomstrategie einrichtet. Es handelt sich vielmehr darum, daß eine neue Idee der Freiheit

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