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Ein abenteuerliches Herz

Ein abenteuerliches Herz

Titel: Ein abenteuerliches Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz Ludwig Arnold
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hatte, fand ich ihn mit seinem Taschenschach beschäftigt, wenn ich in sein Schlafzimmer trat. Er saß in die Kissen gelehnt und schob die Elfenbeinplättchen hin und her. Da war Macht um ihn. Ich fragte mich dann, wie das mit einem Geist, der alle Urteile und Vorurteile seines Jahrhunderts so klar und oft so schneidend zum Ausdruck brachte, vereinbar sei. Immer gab es noch eine andere Seite, eine Welt des Spieles und der Spiele, der reinen, absichtslosen Neigung, die dieser Klarheit widersprach und doch zuweilen sich mit ihr vereinte und sie erwärmte wie ein Licht. Mozart, die »Zauberflöte«, Alexander und die Diadochen, Cortez und die Konquistadoren, »Tausendundeine Nacht«, Champollion und die Entzifferung der Hieroglyphen – das alles mußte einen gemeinsamen Nenner haben, und wenn man tief genug ansetzte, gehörten auch die exakten Naturwissenschaften und der Atheismus, gehörte der Gegensatz dazu.
    Die Mutter sah weniger das Schachspiel als die Spieler, von denen die einen, wie Pahl und Leonhard, sich beim Spiel erholten, während die anderen es zum Beruf machten. Die einen waren ihr angenehm, die anderen unheimlich. Sie brachten ein fremdes Element ins Haus. Die jungen Matadore waren nervös, abwesend, hatten Caféhausallüren und sprachen kein gutes Deutsch. Die Alten waren bis zur Hilflosigkeit abgenutzt. Ihr Gehirn hatte in ähnlicher Weise an Kontur verloren wie das Gesicht betagter Mimen – die einen hatten sich in Kombinationen, die anderen in Charakteren erschöpft. Wurtensleben gab sich zu allerhand Geschäften her, so für die Anpreisung von Patentmedizinen – aus keinem anderen Grund als dem, daß er denselben Namen trug wie ein berühmter Internist, ein entfernter Verwandter von ihm. Auch adoptierte er für Geld.
    Außerdem vermutete die Mutter nicht ganz zu Unrecht, daß die Besucher meist en panne wären, wenn sie ankamen, und daß sie flottgemacht werden müßten, wenn sie abreisten. Das sprach sich dann herum. So war Giacomo Isis, der kurz zuvor noch das Prager Turnier gewonnen hatte, eine Weltkapazität, und doch mußte, als er zusammen mit Wurtensleben in einer Provinzstadt spielte, beiden das Geld ausgegangen sein, denn es kam ein Telegramm mit der Bitte um Auslösung. Leonhard, der gerade im Haus war, nahm sich der Sache an. Er sandte das Lösegeld zusammen mit einem Gedicht, dessen Anfang mir in Erinnerung geblieben ist:
    Der Wurtensleben und der Isis
    Sind beide in sehr großer Krisis:
    Der Isis und der C. v. W.
    Haben nichts im Portemonnaie.
    In solche Händel hätte die Mutter uns ungern verstrickt gesehen. Einmal fragte sie mich, ob ich es nicht mit dem Malen versuchen wolle; das sprach ihre Anschauung an. Das Feuer schien ihr da nicht gänzlich in Rauch aufzugehen, denn ein Bild, selbst wenn es keinen Anklang findet, blieb doch etwas anderes als eine gewonnene Partie. Aus diesem Grunde begrüßte sie auch, daß der Vater uns die Ausrüstung schenkte; das würde uns von der Schachspielerei ablenken.
    Da hatte sie recht vermutet, obwohl nicht mehr geschah, als daß die Passion sich auf ein anderes Ziel richtete. Es fragt sich immer, ob man sie im Zaum behält. Selbst der unvergleichliche Morphy, der schon als Zehnjähriger den Europameister Löwenthal besiegt hatte, führte in New Orleans ein Anwaltsbüro und verlor mit der Zeit die Lust am Spiel, ähnlich wie Rimbaud die am Gedicht.
    Die Gefahr liegt in der Person, nicht in der Sache, und daher kann jede Neigung Formen der Sucht annehmen. Freilich gibt es Zeitvertreibe, die der Manie entgegenkommen; zu ihnen gehört, wie man seit altersher weiß, die Jagd als Muster unermüdlicher und ergötzlicher Nachstellung.
    Fischefangen und Vogelstellen
    Verderben manchen Junggesellen.
    Die Ausrüstung war vorerst bescheiden – Netz, Nadeln, Fangflasche, ein Kasten, dessen Boden mit Torf gefüttert und mit Glanzpapier bezogen war. Damit beginnen alle Entomologen, und die meisten in früher Jugend – Subtile Jäger, die den Kerfen, den Entoma, nachstellen. Dazu ein Buch mit vielen Bildern: Fleischer, »Der Käferfreund«.
    Damit war bereits eine erste Weiche gestellt. Die bunten Bilder waren Köder; bald saß ich an der Angel fest. Was den Zeitverlust angeht, so lief es fast auf dasselbe hinaus wie beim Schachspiel, doch war die Lockung stärker, denn die Partie erschöpfte sich nicht in reinen Kombinationen, sondern eröffnete zugleich ein unerschöpfliches Feld der Anschauung.
    Zum Glück kamen die Anfälle schubweis; die kleinen Objekte

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