Ein abenteuerliches Herz
die Stützen, die der Steinmetz zur Erleichterung beim Tragen stehen ließ und später abmeißelte. Man sieht die Nabelschnur des Werkes noch.
Auf dem Rückwege hielten wir in Alcamo. Es gibt eine besondere Weise, in der die Sonne den Stein verwittert, indem sie ihn bis in den Kern vergoldet und durchglüht. Sein Umriß zerbröckelt, und auf die Entfernung verschmilzt solch eine Sonnensiedlung mit dem Grunde der Berge und Felsen, auf denen sie errichtet ist. Die Patina läßt zunächst altern, dann aber zerstört sie die Spuren der Historie und gibt die Werke der Natur zurück. Sie werden dann Bauten im Sinne von Höhlen und Genisten, gleich denen der Bienen, Ameisen und Eidechsen. Bei ihrem Anblick erfaßt uns eine Art von Sonnenschläfrigkeit; wir ahnen, daß auch das Leben hier sein historisches Format verloren hat und instinktiver, elementarer pulst. Das fühlt man besonders in Sizilien; dazu fließt Afrikanisches mit seiner dunklen Urkraft in die Strukturen ein. Der Boden ist zu kräftig für geistige Formen wie die des Staates, sie gleiten über ihn hinweg, ihn höchstens schürfend; lösen sich vielfach auf ihm ab. Dafür treten die natürlichen Bindungen, wie die der Familie, um so bedeutender hervor.
Mondello, 24. April 1929
Spaziergang mit dem Magister durch die Orangen- und Zitronenhaine, die hier, wie alle Gärten, durch hohe Mauern eingeschlossen sind. Gleich wie der Bau des Hauses dem südlich-levantinischen, ja fast orientalischen Familienleben sich anpaßt, so drücken diese Mauern den romanischen Eigentumsbegriff in seiner ganzen Schärfe aus. Das ist besonders lästig für den Botaniker, der lange zwischen ihnen wie in den prall besonnten Fluren eines Gefängnisses wandern muß, ehe er ein freies Stückchen Grün erreicht.
Indessen sind die Besitzer oder ihre Gärtner sehr freundlich, wenn man sie um die Erlaubnis, einzutreten, fragt. Wie jeder Fehler seine Tugend hat und umgekehrt, gesellt sich hier dem Mißtrauen vor allem Fremden eine besondere Form der Gastlichkeit. Auf diese Weise ergehen wir uns in der Einsamkeit der Gärten und werden zum Abschied noch mit Früchten beschenkt.
Die Conca d'oro ist überaus wohl bestellt. Unsere Gespräche begleiten das Zwitschern kleiner Vögel, das Schnarren der Zikaden in den Mandelbäumen und das Murmeln des Wassers, das durch steinerne Adern springt. Der Boden ist rotbraun, mürbe und treibt die Gewächse aus seinem garen Schoße mit großer Kraft hervor. Das Auge fühlt sich zauberhaft erheitert, wenn es sie so im Sonnenglanze grün leuchten sieht. Besonders wohl scheint sich die Ringelrose hier zu fühlen, die überall wild wuchernd ihre gelben und roten Feuerblüten zeigt. Die Leuchtkraft dieser Blume nimmt mit der Dämmerung zu. Um diese Stunde steigt auch aus den Gärten, vor allem aus dem königlichen Park La Favorita, Orangenblütenduft betäubend auf. Dann kehren wir zurück, an den kleinen maurischen Villen vorbei, von denen weiße Kletterrosen und Glyzinen überreich herabhängen. Wir nehmen vom Krämer eine strohumflochtene Flasche vino vecchio zum Abendessen mit. Meist gibt es Fisch, der eben in der Bucht gefangen wurde und noch atmend ins Haus getragen wird. Man röstet ihn auf einem Holzkohlenfeuer, das durch Fächeln in Glut gehalten werden muß.
Sant' Agata Militello, 25. April 1929
Fahrt nach Sant' Agata. Wir rasteten in Cefalù, um dort den Dom und seine Mosaiken zu betrachten, vor allem den gewaltigen Christus, der sich über dem Altar erhebt, wie aus Atomen ausstrahlend. Dann glitten wir weiter auf dem schmalen Bande zwischen Fels und Meer dahin.
Unweit Caronia, wo der Magister einige Aufnahmen machte, gelang mir ein guter Fang. Ich sah ein Tier, das ich zunächst für einen großen Scarabaeus hielt, über die Straße in die Macchia fliegen, wo es in einem Busch verschwand. Da ich es allzu scharf fixiert hatte, um über das Ende seiner Flugbahn im Zweifel zu sein, entdeckte ich es bald an einem dürren Zweige und löste es zu näherer Betrachtung von ihm ab. Es war der große Capnodis, ein breit kahnförmiger Buprestide, schwarz bronzefarben und zierlich weiß gescheckt, ein Tier, das auf ein Leben in heißerer Sonne zugeschnitten ist, als man sie bei uns zulande kennt. Ich sah es mit Rührung, denn schon als Kind war ich ihm in den Sammlungen des Hannoverschen Museums am Maschpark begegnet und hatte mich gefragt, ob ich dies fliegende Juwel einmal im Leben in seinem Revier antreffen würde – nun hielt ich es in der Hand.
Es
Weitere Kostenlose Bücher