Ein abenteuerliches Herz

gewannen dann magischen Glanz. In solchen Phasen fehlte es mir nie an Zeit für sie; wunderlich war eher, daß noch Zeit für anderes blieb.

AUS DER GOLDENEN MUSCHEL, 1944
    Mondello, 18. April 1929
    Vormittags nach der Landung Spaziergang mit dem Magister in den Gärten von Partana und ihrer maurischen Pracht. Durch die Terrassenbeete glitten lange schwarze Nattern wie Ahnungen dahin. Entsprechend äußerte der Magister auch nur ein vages Mißbehagen, fast wie im Traum. Ein großer Scarabaeus mit Bronzepunkten rollte seine Kugel über den Kalksteinpfad, an dessen Rand die fruchtbare goldbraune Erde verwitterte. Auf dem zartgrünen Fenchel, den Ringelrosen, den strotzenden Gemüsen lag noch der Tau, während in überreichen Lasten die Früchte der Orangen- und Zitronenhaine leuchteten. Am Felsweg in hohen Hecken die Opuntie mit den indischen Feigen, die gleich rötlich violetten, eirunden Kerzen auf ihre breiten Blätter gesteckt waren. Die Conca d'oro, die Goldene Muschel – im Morgenlichte spürten wir ihr Leben, und es flog uns ein Hauch göttlicher Zeitalter an.
    Auf dem Strandwege nach Sferracavallo. Dort setzten wir uns zu einem bescheidenen Essen, Spaghetti mit Tomaten, an den Tisch. Auf dem Rückweg ergötzten uns die kleinen sizilischen Wagen, die, von Eselchen gezogen, an uns vorüberkamen; ihre Schütten waren mit Bildern der Tafelrunde Karls des Großen bemalt.
    Mondello, 20. April 1929
    Am Morgen trennten wir uns zum Lesen und zum Arbeiten. Der Magister setzte sich in den Fruchtgärten an einen steinernen Tisch, und ich begab mich in ein verfallenes Haus, aus dessen Mauerspalten wilde Feigenbäume wucherten. Während ich still in einer alten Fensternische saß, sah ich die Geckos sich ganz langsam, wie Mittagsträume, aus den Ritzen hervorwagen. Das Tier ist stark auf Sonne angewiesen, daher sein Leben an der Südwand, die dunkle Farbe und vor allem die Art, in der es, um mehr an Strahlen aufzufangen, den Körper abplattet. Dieses Bestreben, die Oberfläche zu vergrößern, ist vielen Wesen gemeinsam, die still im Mittagslicht verharren; so fallen mir die Buprestiden ein. Auch zählt die Gabe des schnellen, fast unsichtbaren Enteilens zu den Merkmalen dieses Lebens – es bildet eine Welt von wachsamen Geschöpfen, die an der Spannkraft von Apollons Bogen, doch auch an der Gefährdung durch seine Pfeile teilhaben.
    Nachmittags kletterten wir an den steilen Hängen, mit denen der Monte Gallo ins Meer abstürzt. Uralte Efeubüsche, wahre Stämme, zogen sich, ihn dunkel musternd, am Fels empor. An ihrem Fuße sprossen aus dichtem Rasen zierliche Alpenveilchen und kleine blautraubige Hyazinthen auf.
    Wir schritten auf halber Höhe einen Ziegenpfad entlang, bis zu der Stelle, an der er sich spurlos im Abgrunde verlor. Dann stiegen wir zum Strand hinab und lasen zwischen den überschäumten Klippen Meeresfrüchte auf. Mir fiel dabei ein großer rosaroter Taschenkrebs zur Beute, während der Magister einige dunkelblaue Seeigel vom Felsgrund ablöste.
    Auf dem Rückweg nach Mondello rasteten wir auf einer Lavaklippe, die wie ein Kamel gebildet war. Wir sahen dort die Wogen erst dunkel, darauf grün und endlich als weißen Schaum den Strand hinaufjagen, dann sog das Meer sie wieder ein. Der helle Schlag zahlloser Uferkiesel schloß sich wie Musketenfeuer jeder Senkung an.
    Mondello, 21. April 1929
    In den Geröllhalden am Monte Gallo, aus denen zwischen den großen Blöcken mannshohe Wolfsmilch ragt. Die Polster der saftig grünen Blätter sind von den Blüten, die weithin leuchten, wie von Kronen überhöht. Dort beobachtete ich die Tiere, die an- und abflogen. Unter ihnen war Danacaea zigzag – ein zierlicher Gesell.
    Die Färbung der Euphorbiaceen ist meist in grellem Gelb, Grün, Rot gehalten in einer Skala, die wir als giftig ansprechen. Sie sind wohl auf die Optik der Insektenaugen abgestimmt – bunte Leuchtfeuer beim blitzschnellen Fluge durch die Sonnenwelt. Dem entsprechen nicht nur die Farben, sondern auch die Formen, zu denen die Blüten angeordnet sind: Scheinwerfer, Kandelaber, Feuerkronen, Leuchttürme, deren Spiegel der Sonne zu gerichtet sind.
    Große Pflanzenfamilien sind wie Dynastien, deren Macht nur Augen begreifen können, die nicht Arten, sondern Geschlechter wahrnehmen.
    Mondello, 22. April 1929
    Schirokko. Wir fuhren mit Catalfamo nach Palermo hinein und suchten die Kaisergräber und die Architekturen auf. Darunter wirkte San Cataldo mit seinen drei roten Kuppeln auf mich besonders