Ein Akt der Gewalt
Richtung Long-Island-Railroad-Parkplatz auf der anderen Straßenseite. Er denkt an einen umgefahrenen Kinderwagen, nur ein paar Meilen entfernt am Straßenrand, denkt an den Wagen und was wohl angeschnallt darin liegen mag, und dann sieht er einen Mann im Dunkeln stehen. Er lehnt am Stamm einer Eiche und raucht. Frank sieht die Glut der Zigarette orange glimmen, und er sieht auch das Weiß in den Augen des Mannes.
»Entschuldigung«, sagt Frank. »Ich möchte Sie nicht belästigen, aber könnte ich vielleicht einen Glimmstängel bei Ihnen schnorren?«
Die orangefarbene Glut der Zigarette hüpft kurz auf und nieder, und sofort kommt ein Päckchen Zigaretten aus dem Schatten hervor. Frank nimmt sich eine.
»Danke«, sagt er und befördert die Zigarette zwischen seine Lippen. »Könnte ich vielleicht auch noch Feuer haben?«
Eine Flamme flackert auf. Frank zündet daran seine Zigarette an.
Zum ersten Mal sieht er dabei das Gesicht des anderen Mannes. Es ist das eines Schwarzen mit blutunterlaufenen Augen und ohne Kinn, als habe jemand den Unterkiefer im Winkel von fünfundvierzig Grad mit der Machete weggehackt, sowie einer Nase in der Form einer auf die Seite
gekippten Drei. Es ist ein Gesicht, das man leicht hätte vergessen können – außer dass etwas an ihm nicht stimmt. Frank weiß nicht, was es ist. Jedenfalls könnte er nicht einfach darauf zeigen: Das da ist das Problem, Sir; das hab ich im Nu behoben. Nein, es ist das Zusammenspiel der Einzelteile, das irritiert, wie bei einer optischen Täuschung, einer, wie M. C. Escher sie hätte zeichnen können.
Dann ist das Gesicht verschwunden, und die Hand des Mannes zieht auch das Feuerzeug ins Dunkel zurück.
»Danke«, sagt Frank. Er fragt sich, wieso dieser Mann wohl morgens um vier Uhr vor seinem Apartmentblock herumlungert. Aber es ist ein großer Wohnkomplex, und vielleicht wohnt der Typ ja hier und schnappt ein wenig frische Luft. Aber Frank hat sowieso ganz andere Sorgen.
Er zieht an seiner Zigarette, überquert die Straße und steuert auf seinen 1953er-Buick-Skylark zu, dessen weißes Leinenverdeck geschlossen ist und dessen roter Lack allmählich zu oxidieren beginnt, aber selbst im fahlen Mondlicht immer noch leicht glänzt. Der Wagen ist an den Ecken und Kanten bereits angerostet, aber trotzdem noch in ziemlich gutem Zustand. Jemand hatte ihn vor fünf Jahren in seiner Werkstatt an der 47 th Street abgeliefert, um das Getriebe reparieren zu lassen, war aber nie wieder aufgetaucht. Also hatte Frank den Wagen in Besitz genommen.
Bevor er am Wagen ankommt, gestattet er sich noch einen kurzen Blick über die Schulter auf den Mann mit dem halben Gesicht. Dann findet er eine Taschenlampe im Handschuhfach, das, soweit Frank weiß, noch nie einen Handschuh gesehen hat, und geht nach vorn vor den Wagen.
Er knipst die Taschenlampe an und lässt den Lichtstrahl über das verchromte Vorderteil des Wagens wandern. Eine faustgroße Delle ist zu erkennen, rechts an der Stoßstange. Faustgroß – oder vielleicht auch so groß wie ein Babykopf.
Es ist eine flache Einbeulung, höchstens zwei Zentimeter tief, eine Lädierung, die durchaus schon seit Jahren dort gewesen sein könnte. Er ist einfach nicht der Mann, dem solche Dinge auffallen. Er wartet den Wagen regelmäßig oder lässt ihn von den Jungs einstellen, aber wegen einer Beule hat er sich noch nie den Kopf zerbrochen. Und doch ist er fast sicher, dass sie neu ist – kaum eine Stunde alt – und ungefähr so groß wie ein Babykopf.
Er schaltet die Taschenlampe aus und legt sie ins Handschuhfach zurück. Er geht um den Wagen herum und quetscht sich hinter das Lenkrad. Er bleibt eine Weile sitzen und denkt nach.
Ungefähr so groß wie ein Babykopf.
Dann schiebt er den Zündschlüssel ins Schloss und startet den Motor. Er blickt über die Schulter nach hinten, setzt aus seinem Parkplatz zurück, schaltet auf Drive und biegt nach links in die Austin Street ab.
Buddy Holly ist mit »Not Fade Away« im Radio zu hören. Aber nichts kümmert Frank weniger.
Zumindest hat er weder Blut noch Haare oder Haut entdeckt.
Als er die Austin Street hinunterfährt, kommt ihm eine Nachbarin in ihrem Studebaker entgegen. Er meint, ihr Name sei Katrina, aber genannt wird sie wohl Katy oder Kat. So ähnlich jedenfalls. Er hat ihr einmal Starthilfe gegeben. Er winkt und lächelt hinter seiner Zigarette – als sei er nur auf dem Weg, eine Flasche Milch einzukaufen, so kommt es ihm vor -, und Kat winkt zurück. Dann ist
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