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Ein allzu braves Maedchen

Ein allzu braves Maedchen

Titel: Ein allzu braves Maedchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Sawatzki
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ich vornüberkippe und mit dem Gesicht auf den Boden knalle. ›Was gaffst du, Nutte?‹ Während ich mich langsam aufrapple, wird mir klar, dass ich gehen muss. Ich muss hier raus.
    Ich bin eigentlich kein ängstlicher Mensch. Ich habe schon ziemlich fiese Situationen erlebt und aus jeder was für mich gelernt. Man muss aus den Erfahrungen lernen, sag ich mir immer, sonst war das Leben ja überflüssig.
    Mein Problem ist, ich kann nur in die Gegenwart sehen. Die Vergangenheit muss ausgelöscht bleiben. Das habe ich aus jenem Abend gelernt. Das weiß ich jetzt.«
    Es entstand eine Pause, und Dr. Minkowa stellte eine Frage: »Was meinen Sie damit? Was haben Sie ausgelöscht?«
    Manuela Scriba wirkte erschöpft, sie vergrub ihr Gesicht in den Händen und atmete tief ein. »Ich kann nicht mehr.«
    »Das ist in Ordnung. Lassen Sie uns für heute abbrechen. Erholen Sie sich, schlafen Sie. Wir haben keine Eile.«
    »Was?«
    »Wir machen morgen einfach weiter.«
    »Tun Sie sich keinen Zwang an.« Die Patientin wirkte fast zornig. Schweigend folgte sie der Pflegerin zurück zu ihrem Zimmer.
    Sie fühlte sich abscheulich und starrte dumpf auf den Boden. Das Reden über diesen Abend hatte noch keine Erleichterung gebracht. Sie konnte nur überleben, wenn sie schwieg. Mit ungeheurer Wucht grub sich die Verzweiflung in ihr Herz. Sie richtete sich auf und schluchzte laut, um ihre Brust von dem gewaltigen Schmerz zu befreien. Dann brachen, wie ein Gewitterregen nach lang anhaltender Schwüle, die Tränen aus ihr heraus. Sie strömten über ihr Gesicht, in ihren Mund, und als sie das Salz auf ihren Lippen schmeckte, fühlte sie sich plötzlich sehr klein, wie ein Kind. Und auf eine merkwürdige Weise beschützt. Sie legte sich auf das kühle Linoleum ihres Zimmerbodens, leckte sich die Tränen von Lippen und Armen und schlief augenblicklich ein.

DIENSTAG
    3
6
Am nächsten Tag machten sie weiter. Die junge Frau ließ sich die Anstrengung, die das Sprechen für sie bedeutete, nicht anmerken, sondern knüpfte ohne Umschweife dort an, wo sie am Vortag abgebrochen hatte.
    »Draußen höre ich die Hunde bellen, und in dem Moment weiß ich, ich sitze fest. Ich höre, wie er hinter mich tritt. Meine Knie tun weh. Dann spüre ich seine Hand auf meinem Hintern. Ich ekle mich. Diese Angst vor seinen Händen. Überhaupt vor Händen, die mich abtasten, die mich befühlen wie ein erlegtes Tier.
    Ich weiß nicht, was mit mir los ist. Normalerweise stecke ich alles mit links weg. Aber an dem Abend ist es anders. Ich ertrage nicht, dass er mich begutachtet. Dass er mich erniedrigt, indem er mit seiner Krücke auf meinen Hintern schlägt.
    Und plötzlich fällt mir ein, dass ich Rosalynn nicht Bescheid gesagt habe.
    Niemand weiß, wo ich bin. Das ist mir noch nie passiert!
    Da wendet er sich ab. ›Bleib hier‹, sagt er noch, ›sonst kannst du was erleben‹, dann geht er. Ich höre ihn über den Korridor schlurfen und die Treppen runterhumpeln. So eine Scheiße, sage ich mir, hau ab hier, los. Ich gucke mich um, kann aber kein Telefon entdecken. Sonst hätte ich jetzt schnell im ›Paradies‹ angerufen. Das Schlimmste ist, dass ich dabei bin, mich zu verlieren. Ich habe das manchmal, wenn mich eine Situation überfordert. Dann fühle ich mich wie kurz vor einer Ohnmacht, ich höre so ein Pfeifen in meinen Ohren, mein Mund wird trocken, und danach kann ich mich an nichts mehr erinnern. Dann habe ich Angst vor dem, was in mir passiert.
    Unten geht die Haustür auf. Ich höre den schrillen Pfiff, den ich schon kenne. Dann das Bellen der sich nähernden Hunde. Dann wieder die Tür und ein scharfes ›Fuß!‹. Dann seine Schritte auf der Treppe, dazwischen das Getrappel und das Hecheln der Hunde. Sie kommen nach oben. Sie nähern sich der Schlafzimmertür und kommen rein zu mir. Ich sitze auf dem Boden, den String zwischen den Knien. Der Alte steht da zwischen seinen hechelnden Hunden und sieht mich an. Dann kommt er heran, die Hunde dicht neben sich, und befiehlt mir, mich wieder hinzuknien. Ich versuche aufzustehen, aber die Hunde machen einen Satz auf mich zu. Also bleibe ich, wie ich bin, den String albern zwischen den Beinen …
    Ich knie vor ihm und seinen Hunden und weiß, ich muss dem Ganzen ein Ende bereiten, sonst geht das nicht gut. Ich blicke ihm direkt in die Augen und sage: ›Ich gehe jetzt.‹ Er verzieht keine Miene. Er reagiert nicht, es ist, als hätte ich nichts gesagt. Ich bekomme kaum Luft, bemühe mich aber, mir nichts

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