Ein allzu braves Maedchen
seinen faltigen Hals, hält kurz an seinen dünnen Lippen inne, streift die gebogene schmale Vogelnase und bleibt im Nichts seiner Augen hängen. Der Alte wird unruhig, will sich abwenden. Aber ich packe ihn mit beiden Händen an seinen dürren Armen und biege ihn mir so hin, dass er meinem Blick nicht ausweichen kann. Er zetert, ich solle das lassen, aber nachdem ich ihm mein Knie in die Eier gerammt habe, hält er den Mund. Er starrt mich an, den Mund weit aufgerissen, wie zu einem Schrei, aber er kriegt keinen Ton raus. Nur ein Röcheln. Plötzlich habe ich meinen Vater im Arm. Ich schüttle ihn und schreie: ›Was?‹ Ich weiß überhaupt nicht, warum ich ›was?‹ schreie, ich schreie es ununterbrochen. Ich werfe ihn zu Boden und trete ihm mit den hochhackigen Stiefeln ins Gesicht. Seine Brille zerbricht und hängt schief an seiner Wange. Dann trete ich auf seinen Nacken ein, in seine Weichteile. Er gurgelt und wimmert. Seine Hände sind zum Schutz erhoben, als würde er mich anflehen, ihn am Leben zu lassen. Aber je schwächer er wird, je größer sein Schmerz, umso gewaltiger werden mein Hass und meine Kraft. Ich bin außer mir und kann nicht mehr zurück. Mit aller Wucht trete ich ihm in die Rippen. Das Geräusch der krachenden Knochen verleiht mir eine tiefe Befriedigung.
Ich werde das hier ordentlich zu Ende bringen, denke ich kühl. Wie alles in meinem Leben. Seine Augen starren blicklos nach oben, als würde er sich schon auf den Weg in den Himmel machen. Aber da kommt er nicht hin. Ich reiße ihm seine Hose von den Beinen und schlage damit besinnungslos auf ihn ein. Er versucht den Schlägen auszuweichen, langsam schiebt er seinen weißen Leib Richtung Tür. Ich packe sein Gesicht, komme ganz nah an ihn heran, versuche, etwas in seinen Augen zu lesen. Irgendwas. Die Augen sind leer. Wieder schreie ich: ›Was?‹ Aber ich erkenne nichts. Es ist alles umsonst. Ich wende mich zu dem Tischchen, wo die halb volle Proseccoflasche steht, nehme sie, trete hinter ihn und schlage so lange auf seinen Schädel ein, bis er platzt.
Dann gehe ich wie ferngesteuert ins Bad und lasse die Wanne einlaufen. Ich weiß, dass die Hunde mich nicht vom Grundstück lassen. Ich habe Zeit.«
Sie blickte auf die Flusslandschaft. Sie war unendlich müde. Mit schleppender Stimme sagte sie: »Ich möchte jetzt allein sein.«
Die Therapeutin stand leise auf. An der Tür gab sie den Pflegern ein Zeichen. Dann drehte sie sich zu ihrer Patientin um und sagte: »Sie sind nicht allein. Sie schaffen das, ich helfe Ihnen.«
MITTWOCH
3
7
»Ich weiß nicht, wie lange ich schon neben der Badewanne hocke. Es fühlt sich jedenfalls gut an, mit mir allein zu sein. Ich betrachte die Marmorierung des Bodens und verliere mich in einer Phantasiewelt.
Ich sitze da und lausche dem Tropfen des Wasserhahns. Der Dunst des heißen Wassers hüllt mich ein und gibt mir ein Gefühl von Geborgenheit.
Das Haus spricht, und ich lausche den fremden Geräuschen, unfähig, sie einzuordnen oder zu verstehen. Ich denke an meine Kindheit. An meine erste Kindheit. Als ich noch Kind sein durfte.
Sie hatten ein großes Haus, die Tagesmutter und ihr Mann. Meine Mutter und ich wohnten in der Einliegerwohnung im Souterrain. Auf dem Weg nach unten musste ich durch einen fensterlosen Raum gehen, der meinem Pflegevater als Werkraum diente. Da hingen Sägen und Gartengeräte an der Wand, und es gab eine richtige Werkbank.
An einer Seite war eine Stahltür eingelassen, und dahinter verbarg sich eine düstere Höhle. Das war der Bombenkeller. Da wir uns in Friedenszeiten befanden, wurden dort Kartoffeln gelagert. Meine Tagesmutter hatte die Bombardierung Dresdens miterlebt und panische Angst vor einem erneuten Krieg.
Ich fürchtete mich vor dem Bombenkeller.
Daran denke ich, während ich neben der Badewanne kauere und auf den Boden starre. Da ist ein Wasserfall, und in seinem Strom, auf halber Höhe zwischen Felskante und Flussbecken, befindet sich eine herabstürzende menschliche Gestalt. Ich weiß, sie wird sterben, denn den Aufprall kann sie nicht überleben. Ich strecke die Hand aus, um den kleinen Menschen in seinem Todessturz zu berühren. Da sehe ich das Blut an meiner Hand. Es ist angetrocknet und krustig. Die Finger kleben aneinander, schwarze Halbmonde unter den Nägeln. Ich richte mich langsam auf, blicke an meinem nackten Körper hinab und registriere, dass überall Blut ist. Zuerst weiß ich nicht, ob es mein Blut ist, und dann schiebt sich das Bild von
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