Ein allzu schönes Mädchen
sichtlich
aufgebracht über die Informationspolitik der Polizei.
Wie Hunde, die an ihren Ketten zerren, dachte Marthaler.
Hinter den Vertretern der Medien war die Menge der Schaulustigen inzwischen auf mehrere hundert Leute angewachsen. Und schon
hatten sich auch die ersten Händler eingefunden. Marthaler konnte einen Brezel-Verkäufer und einen Eiswagen ausmachen. Weiter
rechts auf dem Parkplatz verkauften zwei Jugendliche kalte Getränke aus großen Kühlboxen. Fehlt eigentlich nur noch, dass
jemand eine Musikanlage aufbaut, dachte Marthaler, dann könnten sie auch noch tanzen, wenn ihnen langweilig wird.
Bevor er selbst noch etwas sagen konnte, wurde er sofort mit Fragen bestürmt. Er hob die Hände und bat um Ruhe.
«Ich werde Ihre Fragen beantworten, so gut es geht», sagte er. «Aber zunächst interessiert Sie ja vielleicht, was passiert
ist.»
Er fasste die Ereignisse der letzten Stunden zusammen. Er erklärte, wie das, was im Stadtwald und auf dem Goetheturm geschehen
war, mit den beiden Morden zusammenhing. Von den beiden Geiseln, die Plöger möglicherweise genommen hatte, sagte er nichts.
Er lehnte es grundsätzlich ab, Spekulationen an die Presse weiterzugeben.
Der erste Journalist, der sich meldete, war der Reporter eines großen privaten Fernsehsenders. Marthaler kannte ihn vom Bildschirm.
«Stimmt es, dass der Doppelmörder Plöger zwei Japanerinnen in seiner Gewalt hat?»
«Wenn Sie bereits wissen, dass Plöger ein Doppelmörder ist, wissen Sie mehr als ich», antwortete Marthaler.
«Aber alle Indizien weisen darauf hin.»
«Um die Indizien kümmern wir uns, kümmern Sie sich um die Fakten, die Sie von uns erfahren.»
|355| «Was ist mit den beiden Japanerinnen? Stimmt es, oder stimmt es nicht?»
«Woher wissen Sie davon?», fragte Marthaler.
«Also stimmt es», sagte der Reporter. «Es ist unsere Aufgabe, das Publikum zu informieren. Wir senden seit über einer Stunde
live.»
Der Reporter bekam Unterstützung von einer jungen Kollegin, die sich als Vertreterin des Hessischen Rundfunks vorstellte.
Marthaler hatte sie noch nie zuvor gesehen.
«Wir sind ebenfalls mitten in einer Sondersendung», sagte die Frau. «Und Sie müssen damit leben, dass wir Spekulationen an
die Zuschauer weitergeben, wenn wir von Ihnen keine Informationen bekommen.»
Marthaler ging nicht auf den Vorwurf ein.
«Ihre Frage, bitte?», sagte er.
Sie stellte sich in Positur und zupfte an ihrem Kostüm. Sie sah Marthaler an, aber ihr Lächeln galt der Kamera. «Ich möchte
wissen, wann Sie endlich zuschlagen.»
«Wann wir was tun?»
«Wann Sie zuschlagen? Wann Sie etwas unternehmen? Oder soll Plöger auf dem Goetheturm übernachten?»
Marthaler wurde nun ernsthaft böse. «Wir sind nicht in einem Action-Film. Niemand zwingt Sie, unentwegt Sondersendungen zu
produzieren. Warum zeigen Sie nicht einfach einen schönen Tierfilm? Weitere Fragen? Das ist nicht der Fall. Vielen Dank.»
Damit drehte er sich um und ging wieder in Richtung des Gartenlokals. Hinter sich hörte er die Proteste der Journalisten,
die er nicht mehr hatte zu Wort kommen lassen. Sollen sie sich bei ihren Kollegen beschweren, dachte Marthaler. So lange die
nicht lernten, auf sachliche Weise zu kooperieren, war er nicht bereit, mehr als das Nötigste zu sagen.
|356| «Ich hab’s.» Kerstin Henschel lief aufgeregt zwischen den Stühlen auf und ab.
«Du hast was?», fragte Döring.
«Ich weiß jetzt, was Plöger zu mir gesagt hat, als er auf der Treppe stand. Ich habe die ganze Zeit darüber nachgedacht. Jetzt
weiß ich es.»
«Nämlich?»
«Form bitte einmal mit den Lippen den Satz: ‹Ich bin kein Mörder.› Aber ohne, dass ich etwas höre.»
«Wie bitte?»
«Komm, mach schon.»
Döring befolgte ihre Bitte. Sie schaute konzentriert auf seinen Mund.
«Nochmal, bitte», sagte sie.
Döring wiederholte die stummen Mundbewegungen.
«Und jetzt du, Robert.»
Auch Marthaler sagte den Satz, ohne einen Laut von sich zu geben.
«Das ist es», sagte Kerstin Henschel. «Das ist es, was er sagen wollte. Ich bin ganz sicher. Er wollte sagen: ‹Ich bin kein
Mörder.›»
«Das würde ich auch behaupten an seiner Stelle», sagte Döring.
«Ja, aber es hat etwas zu bedeuten. Die Art, wie er das getan hat. Er hatte in dem Moment eigentlich ganz andere Sorgen.»
«Ich glaube, Kerstin hat Recht», sagte Marthaler. «Wir müssen darüber nachdenken. Wir haben über zu viele Ungereimtheiten
noch nicht
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