Ein allzu schönes Mädchen
gesprochen. Aber wann hätten wir das auch tun sollen, wenn sich die Ereignisse so überschlagen?»
In diesem Moment sahen sie, wie eine schwarze Mercedes-Limousine von den Beamten durch die Absperrung gelassen wurde. Sie
hielt auf dem nahe gelegenen Parkplatz. Der Fahrer ging um den Wagen herum und öffnete die hintere rechte |357| Tür. Ein Mann stieg aus, bückte sich noch einmal ins Innere des Autos, nahm eine Anzugjacke heraus und zog sie über. Marthaler
wollte gerade bei den Kollegen protestieren, als er den Polizeipräsidenten erkannte.
«Auch das noch», sagte Döring leise und verdrehte die Augen. «Ich frage mich, wieso man uns nicht einfach in Ruhe arbeiten
lässt.»
Marthaler hatte den Polizeipräsidenten bei verschiedenen offiziellen Anlässen erlebt, und er fand, dass Gabriel Eissler seine
Arbeit gut machte. Fast immer, wenn sie in die öffentliche Kritik geraten waren, hatte Eissler es verstanden, die Gemüter
zu beruhigen, und gleichzeitig keinen Zweifel daran gelassen, dass er hinter seinen Leuten stand. Jetzt allerdings teilte
Marthaler die Bedenken von Kai Döring. Es war kein gutes Zeichen, dass der oberste Frankfurter Polizist an einem Samstagnachmittag
hier auftauchte.
Eissler ging reihum und gab jedem Beamten die Hand. Jenen, die er nicht kannte, stellte auch er sich mit vollem Namen vor.
Er lächelte und schaute den Leuten zur Begrüßung in die Augen. Dann bat er Marthaler um ein kurzes Gespräch.
«Gehen wir ein paar Meter», sagte er.
Sie entfernten sich von den anderen. Eissler kam ohne Umschweife zur Sache.
«Ich habe gerade einen Anruf vom Intendanten des Hessischen Rundfunks erhalten», sagte er.
«Das ging aber schnell», antwortete Marthaler.
«Ja. Eine Mitarbeiterin des Senders hat sich beschwert. Sie wissen, dass ich auf derlei Kritik im Normalfall nicht allzu viel
gebe.»
«Im Normalfall?»
«Ich weiß nicht, ob Ihnen klar ist, dass wir es mit einer besonderen Situation zu tun haben? Alle Radio- und Fernsehsender
berichten unentwegt über die Lage im Stadtwald. Inzwischen |358| ist die Aufmerksamkeit des gesamten Landes auf den Goetheturm gerichtet.»
«Das ist mir egal», sagte Marthaler. «Das muss mir egal sein. Und das Besondere an diesem Fall liegt meines Erachtens woanders.
Es liegt …»
Eissler schnitt ihm das Wort ab.
«Sie wissen genau, was ich meine», sagte er. Die Schärfe in seiner Stimme war nicht zu überhören. «Ich meine, dass ich informiert
werden will über alles, was bisher geschehen ist. Der Umstand, dass Hans-Jürgen Herrmann erkrankt ist, hat mich veranlasst,
diesen Fall selbst in die Hand zu nehmen. Ab sofort bin ich derjenige, der entscheidet, was wir tun und was wir lassen.»
«Nein», sagte Marthaler.
Einen Augenblick lang verschlug es Eissler die Sprache. Marthaler sah, wie dem Polizeipräsidenten die Zornesröte ins Gesicht
stieg. Dann begann er zu schreien. «Was heißt hier nein? Was bilden Sie sich überhaupt ein? Ich möchte, dass hier ein für
alle Mal klar ist, wer die Anweisungen gibt und wer sie zu befolgen hat.»
Marthaler blieb ruhig. Er schwieg eine Weile, dann merkte er, wie Eissler erste Zeichen von Verunsicherung zeigte und wie
sein Zorn nachließ.
«Weder möchte ich Ihre Kompetenz in Zweifel ziehen», sagte Marthaler, «noch liegt mir etwas daran, meine eigenen Kompetenzen
zu überschreiten. Aber dieser Fall ist schwierig genug. Daran ist zu keinem geringen Teil auch der amtierende Leiter der Mordkommission
schuld. Obwohl ich bereits Urlaub hatte, hat er mich gebeten, den Fall zu übernehmen. Dann hat er versucht, mich auszubooten.
Als er sich wegen der Sache mit Jörg Gessner öffentlich lächerlich gemacht und anschließend krankgemeldet hatte, musste ich
wieder einspringen. Vielleicht können Sie verstehen, dass ich dieses Hin und |359| Her satt habe, dass ich es nicht länger mitmachen werde. Wenn Sie es wirklich wollen, können Sie den Fall übernehmen. Dann
allerdings stehe ich nicht mehr zur Verfügung.»
Marthaler hatte seine Meinung in betont sachlichem Ton vorgetragen. Trotzdem konnte kein Zweifel daran bestehen, dass es ihm
ernst war. Und dass er bereit war, alle eventuellen Konsequenzen zu ziehen.
Eissler schien das begriffen zu haben. Er hatte die Hände hinter dem Rücken verschränkt und schweigend zugehört. Jetzt nickte
er heftig mit dem Kopf.
«Verstehe», sagte er. «Verstehe. Gut. Dennoch schlage ich vor, dass Sie mich zunächst einmal über den
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