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Ein allzu schönes Mädchen

Titel: Ein allzu schönes Mädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Seghers
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Marthaler fragte sich, ob sie Schmerzen habe, nicht seelische, sondern womöglich in einer
     Verletzung begründete körperliche Schmerzen.
    «Tut Ihnen etwas weh?», fragte er. «Sollen wir einen Arzt ins Präsidium bestellen?»
    |426| Aber sie gab nicht einmal durch ein Wimpernzucken zu verstehen, dass sie seine Frage auch nur gehört, geschweige denn verstanden
     hatte.
    Kurz bevor sie am Präsidium ankamen, ließ Marthaler den Fahrer halten und stieg aus. Wie er vermutet hatte, wartete vor der
     Einfahrt bereits ein Trupp Journalisten. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite stand ein weißer Pajero im absoluten Halteverbot.
     Marthaler überlegte kurz, ob er den Fahrer zurechtweisen solle, ließ es dann aber bleiben. Um die Presseleute von Marie-Louise
     Geissler abzulenken, hatte er sich zu einer kurzen Erklärung entschlossen. Während sich die Kameras und Mikrophone auf ihn
     richteten, erreichten die drei Streifenwagen unbehelligt den Hof des Präsidiums.
    Marthaler beschränkte sich auf das Nötigste. Ja, man habe die mit Haftbefehl gesuchte Person vor zirka zwanzig Minuten in
     der Kleinmarkthalle festgenommen. Einen Fluchtversuch habe sie nicht unternommen. Nein, sie habe sich noch nicht zur Sache
     geäußert. Welchen Eindruck sie mache? Einen indifferenten, anders könne er es nicht beschreiben. Ob man mit einem Geständnis
     rechne oder sich auf einen Indizienprozess einstelle?
    «Ein Geständnis ist uns immer lieber», antwortete Marthaler und wich damit der Frage aus.
    Dann bedankte er sich für die gute Zusammenarbeit der letzten Tage und verwies auf eine Pressekonferenz, zu der man sicher
     in Kürze einladen werde, um die neuesten Entwicklungen bekannt zu geben.
     
    Drei Stunden lang versuchten sie an diesem Nachmittag, mit Marie-Louise Geissler zu sprechen.
    Sie saßen zu viert in Robert Marthalers Büro. Kerstin Henschel mit dem Rücken zum Fenster, das sie trotz der Hitze verschlossen
     hielten. Ihr gegenüber die Beschuldigte, die beunruhigt, |427| aber keineswegs verängstigt wirkte. Marthaler selbst hatte an dem schmalen Ende des Besprechungstisches Platz genommen. Elvira
     hatte sich an Marthalers Schreibtisch gesetzt. Sie hatte den Auftrag, das Gespräch zu protokollieren. Darüber hinaus waren
     vor der Tür zwei Schutzpolizisten postiert, die einen eventuellen Ausbruchsversuch verhindern oder einschreiten sollten, falls
     es während der Vernehmung zu Zwischenfällen kam.
    Marthaler war entschlossen, streng den Vorschriften zu folgen. Er hatte ein Vernehmungsformular vor sich und fragte die Beschuldigte
     nach ihrem Namen.
    Marie-Louise Geissler schwieg. Sie sah Marthaler nicht einmal an.
    Er fragte noch einmal. Wieder bekam er keine Antwort.
    «Ich muss Sie darauf hinweisen, dass Sie verpflichtet sind, Angaben zu Ihrer Person zu machen. Nennen Sie uns bitte Ihren
     Namen, Ihr Geburtsdatum, den Geburtsort und Ihre Adresse.»
    Keine Reaktion.
    «Es gibt andere, wenn auch sehr viel aufwendigere Möglichkeiten, Ihre Identität zweifelsfrei festzustellen. Aber Sie würden
     sich und uns doch sehr helfen, wenn wir zu diesem Zweck nicht erst Zeugen einbestellen müssten.»
    Marthaler sah Kerstin Henschel Hilfe suchend an. Die aber hob nur die Achseln. Sie hatte eine solche Situation ebenfalls noch
     nie erlebt und war genauso ratlos wie er.
    «Haben Sie verstanden, was ich gesagt habe? Wenn Sie nicht sprechen wollen oder können, genügt es auch, wenn Sie mir ein eindeutiges
     Zeichen geben. Nicken Sie einfach mit dem Kopf, wenn Sie meine Frage bejahen wollen.»
    Marthaler hatte nicht den Eindruck, als wolle Marie-Louise Geissler sie durch ihr Schweigen brüskieren. Ihre Haltung drückte
     keinerlei Hochmut oder Feindseligkeit aus. Eher war |428| es so, als sei sie in eine völlig andere Welt eingetaucht, in der die menschliche Sprache keine Bedeutung hatte.
    «Wollen wir es noch einmal versuchen? Sie sind Marie-Louise Geissler, nicht wahr?»
    Langsam hob sie den Kopf. Ihre Augen hatten sich ein wenig verengt. Marthaler hielt den Atem an.
    Sie wandte sich ihm zu und sah ihn an. Eine Antwort gab sie nicht. Aber er glaubte, in ihrem Blick so etwas wie Verwunderung
     zu lesen, als habe der Name, den er genannt hatte, in ihr ein schwaches Wiedererkennen ausgelöst.
    Es ist, dachte Marthaler, als würde sie aus dem Reich der Schatten zu uns herüberblicken. Dann kam er auf eine Idee. Er stand
     auf, ging zum Schreibtisch und nahm aus der Schublade das Foto, das er aus Saarbrücken mitgebracht

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