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Ein allzu schönes Mädchen

Titel: Ein allzu schönes Mädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Seghers
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nochmal zu fahren?», fragte Marthaler. «Mit dem Motorrad geht es schneller als mit dem Wagen.»
    «Warum nicht. Ich müsste nur kurz in der Zentrale Bescheid sagen.»
    «Kommen Sie», sagte Marthaler, «das machen wir von unterwegs.»
    Der Motoradfahrer streckte ihm die Hand entgegen.
    «Manfred Petersen», sagte er, «vielleicht sollten wir wenigstens |66| unsere Namen kennen, wenn wir schon unzertrennlich werden.»
    «Entschuldigung», sagte Marthaler. «Ich heiße Robert.»
     
    In den letzten Stunden war es warm geworden, der Himmel war blau, und von dem angekündigten Regen war nichts zu sehen. Marthaler
     kam es vor, als sei die ganze Stadt voller junger, glücklicher Paare, die offensichtlich endlos viel Zeit hatten, über die
     Plätze zu flanieren, die Sonne zu genießen und Geld auszugeben. An der ersten Ampel wählte er die Nummer der Zentrale und
     meldete, dass Manfred Petersen ihn nach Oberrad fahre. Langsam ließen seine Kopfschmerzen nach. An der Obermainbrücke überquerten
     sie den Fluss.
    Die Adresse, die ihm Elvira aufgeschrieben hatte, lag am Ende der Offenbacher Landstraße, kurz vor der Stadtgrenze. Er gab
     Petersen ein Zeichen, dass sie ihr Ziel erreicht hatten. Sie stellten das Motorrad auf der Straße ab.
    Das Zweifamilienhaus stammte aus den dreißiger Jahren und sah ziemlich heruntergekommen aus. Es lag direkt an der Straße,
     die nach Offenbach führte. Der Putz war verwittert und hatte durch die Abgase an manchen Stellen fast schwarze Flecken bekommen;
     von den Fensterrahmen blätterte die Farbe. Sie schauten auf die Klingelschilder, aber keines lautete auf den Namen Hegemann.
     Als Marthaler auf den obersten Knopf drückte, ertönte im Haus lautes Hundegebell. Dann ging über ihnen ein Fenster auf, und
     ein älterer Mann im Unterhemd schaute heraus.
    «Was gibt’s?», fragt er.
    «Wir möchten zu Werner Hegemann.»
    Der Mann schien erleichtert zu sein.
    «Die wohnen im Hof», sagte er, «ich mach Ihnen auf.»
    Marthaler drückte gegen die Gittertür, die sich nun quietschend öffnen ließ. Im Hof befand sich ein kleiner Anbau, der |67| vielleicht einmal als Doppelgarage genutzt und später zu einer Wohnung ausgebaut worden war.
    Marthaler klopfte an die Tür. Die Frau, die ihnen öffnete, hielt eine brennende Zigarette zwischen den Fingern. Sie hatte
     das graue Gesicht einer Kettenraucherin, war vielleicht Ende vierzig, schlank, sah aber verbraucht aus. Sie sprach einen starken
     österreichischen Dialekt und gab sich kaum Mühe, sich verständlich zu machen. Aus der Wohnung kam ihnen der Geruch von kaltem
     Rauch und Reinigungsmitteln entgegen.
    «Was wollen Sie?»
    «Wir suchen Werner Hegemann.»
    «Mein Sohn schläft.»
    Marthaler zeigte seinen Ausweis. «Lange kann er noch nicht schlafen. Wecken Sie ihn bitte!»
    Marthaler merkte, dass die Frau nervös wurde und immer wieder an ihm vorbei in den Hof sah. Er drehte sich um. Der alte Mann
     im Unterhemd war aus dem Haus gekommen, machte sich an den Mülltonnen zu schaffen und äugte zu ihnen herüber.
    «Also machen Sie schon, kommen Sie rein.»
    Diese Frau spricht nicht, dachte Marthaler, diese Frau bellt.
    Sie drängte die beiden Polizisten in den engen, dunklen Flur und schloss rasch die Wohnungstür. «Was ist eigentlich los?»
    «Hat Ihr Sohn Ihnen denn nichts erzählt?», fragte Marthaler.
    «Was erzählt?»
    «Dass er heute morgen im Wald eine Leiche gefunden hat?»
    «Ich war den ganzen Vormittag einkaufen und bin gerade erst zurückgekommen. Eine Leiche?» Frau Hegemann drückte ihre Zigarette
     in einem unbenutzten Aschenbecher aus, |68| den sie sofort wieder ausleerte und mit einer Spülbürste reinigte.
    «Bitte, wecken Sie ihn jetzt.»
    «Muss das sein?»
    Marthaler merkte, wie die Wut in ihm aufstieg. Sie war eine jener Frauen, die ihrer Umgebung mit jedem Blick, mit jeder Geste
     zu verstehen geben wollen, dass sie eigentlich etwas Besseres verdient hätten. Er hatte die Frau vom ersten Moment an verabscheut
     – diese Mischung aus Verkommenheit und Putzwahn, aus Unterwürfigkeit und Unverschämtheit. Er war kurz davor, ausfallend zu
     werden.
    «Jetzt machen Sie schon, sonst nehmen wir ihn fest», herrschte er sie an.
    Plötzlich war die Frau wie verwandelt. Sie lächelte. Sie wurde freundlich.
    «Sofort», sagte sie, «wenn die Herren, bitte schön, einen Moment in der Küche Platz nehmen wollen. Ich bin gleich zurück.»
    Marthaler ahnte, dass er eines jener Wesen vor sich hatte, das so häufig geschlagen

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