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Ein allzu schönes Mädchen

Titel: Ein allzu schönes Mädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Seghers
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bekam.
    «Ja», sagte er, «eigentlich schon.»

|63| Vier
    Sie brauchten fast eine halbe Stunde, bis sie den Platz der Republik erreicht hatten. Die Schulferien waren vor einer Woche
     zu Ende gegangen, und die Straßen der Stadt waren so voll wie sonst nur selten im Jahr. Hinzu kam, dass für den Nachmittag
     erneut Regen angesagt war und dass viele Berufstätige statt mit öffentlichen Verkehrsmitteln mit ihren Autos gefahren waren.
    Sie fuhren auf den Hof, stellten den Wagen ab und betraten das alte Gebäude durch den Diensteingang. Das Haus platzte aus
     allen Nähten, und in sämtlichen Abteilungen wartete man ungeduldig auf die Fertigstellung des neuen Präsidiums, das gerade
     auf einem riesigen Areal an der Adickesallee gebaut wurde. Marthaler allerdings mochte den etwas verlebten Charme des alten
     Hauses, die breiten Treppenaufgänge und die engen Büros, wo sich überall die Akten stapelten und in denen es nach Staub und
     Bohnerwachs roch. Und ihm war die Vorstellung nicht ganz geheuer, dass man ihm nun, nach so vielen Jahren, seinen von Tintenflecken
     übersäten alten Holzschreibtisch, an dem die Rolltür seit Ewigkeiten klemmte, wegnehmen und durch ein neues Exemplar aus Stahl
     und pflegeleichtem Kunststoff ersetzen würde.
    Er betrat sein Büro im dritten Stock, begrüßte seine Sekretärin und bat sie um eine Schmerztablette. «
    Oder gib mir gleich zwei», sagte er.
    Elvira war Mitte fünfzig und hatte ihren Dienst im Morddezernat etwa zur selben Zeit wie er angetreten. Er kannte ihren Mann,
     ihre beiden Kinder, und als vor zwei Monaten ihr erstes Enkelkind geboren worden war, hatte Marthaler ihr |64| dreißig Mark gegeben und sie gebeten, ihrer Tochter einen Blumenstrauß von ihm mitzubringen. Wenn man ihn gefragt hätte, mit
     wem von seinen Kollegen er befreundet war, wäre ihm wohl zuerst Elvira eingefallen.
    Er ging zum Waschbecken, ließ Wasser in einen Becher laufen und schluckte die beiden Tabletten.
    «Zeig mir doch bitte mal deinen Dienstausweis?», sagte Elvira.
    Marthaler schaute seine Sekretärin entgeistert an.
    «Nun mach schon!», wiederholte sie ihre Aufforderung.
    Er fasste in die Innentasche seines Jacketts und merkte, dass seine Brieftasche verschwunden war.
    «Verdammt, ich hab sie doch vorhin noch   …»
    «Eine Kellnerin aus dem ‹Lesecafé› hat vorhin hier angerufen und gefragt, ob hier ein Hauptkommissar Robert arbeite. Tja,
     mein Lieber, vielleicht solltest du ein wenig besser auf deine Siebensachen Acht geben. Ein Bote hat die Brieftasche bereits
     gebracht. Sie liegt auf deinem Schreibtisch.»
    «Gut. Danke», sagte Marthaler, der sich bemühte, die Situation rasch zu überspielen. Dennoch sah man ihm an, wie peinlich
     es ihm war, dass Elvira ihn wieder einmal bei einer Schusseligkeit erwischt hatte.
    «Wo habt ihr den jungen Mann hingesetzt?», fragte er.
    «Welchen jungen Mann?»
    «Den, der die Leiche im Wald gefunden hat.»
    «Du meinst Werner Hegemann? Der hat über zwei Stunden hier gewartet, ohne dass sich jemand um ihn gekümmert hat. Dann hab
     ich ihn nach Hause geschickt.»
    «Du hast was?» Der Schmerz in Marthalers Kopf begann zu stechen.
    «Er ist ein Zeuge, oder?», sagte Elvira.
    «Dieser Hegemann hat versucht abzuhauen, als ihn ein |65| Forstbeamter neben der Leiche angetroffen hat. Und du lässt ihn einfach gehen?»
    Elvira war völlig verdattert. Es war offensichtlich, dass sie sich keiner Schuld bewusst war. «Robert, das tut mir Leid. Ich
     hatte keine Ahnung. Es hat mir kein Mensch gesagt   …»
    «Wie lange ist das her?»
    «Höchstens eine halbe Stunde.»
    «Hast du wenigstens seine Adresse aufgeschrieben?»
    «Ja, hier, ich habe mir seinen Ausweis zeigen lassen und alles notiert. Ich habe ihm gesagt, wir würden uns wieder bei ihm
     melden.»
    Sie reichte Marthaler den Zettel. Unter der Adresse stand eine Telefonnummer. Er überlegte kurz, ob er Hegemann anrufen und
     ihn bitten sollte, wieder ins Präsidium zu kommen. Dann beschloss er, die angegebene Adresse aufzusuchen.
    «Robert, bitte…», rief Elvira ihm nach.
    Er hob die Hand. Dann ließ er die Tür hinter sich ins Schloß fallen. Er ging drei Zimmer weiter und wollte Kerstin Henschel
     bitten, ihn zu begleiten. Sie habe sich krankgemeldet, verkündete man ihm.
    «Verdammt nochmal», schrie er. «Und ich habe Urlaub.» Auf dem Gang begegnete ihm der Schutzpolizist, der ihn am Morgen mit
     dem Motorrad zu Hause abgeholt und in den Wald gebracht hatte.
    «Haben Sie Zeit, mich

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