Ein allzu schönes Mädchen
schließlich
hatte sie sich gefügt und ihren Bräutigam gebeten, nicht zu viel zu trinken, vorsichtig zu fahren und auf jeden Fall pünktlich
zurück zu sein. Bernd hatte die Augen verdreht, dann aber gelacht, Zeige- und Mittelfinger der rechten Hand in die Luft gestreckt
und gesagt: «Ich schwöre.»
Als er auch nach dem Sonntagskrimi noch immer nicht wieder zu Hause war, hatte Bettina seine Nummer auf dem Mobiltelefon angewählt.
Als er sich endlich meldete, hörte sie Gelächter im Hintergrund, Musik, Gläserklirren.
«Wo bist du?», fragte sie. «Ich warte auf dich.»
«Entschuldige, Schatz, ich wollte dich auch gerade anrufen. Wir sind in Straßburg. Der Wagen hatte eine Panne, und wir müssen
warten, bis morgen früh eine Werkstatt aufmacht. Mach dir keine Sorgen. Ich liebe dich.»
Sie glaubte ihm nicht, aber sie war beruhigt. Wenigstens war ihm nichts zugestoßen.
Als er auch am Montagmittag immer noch nicht in Frankfurt angekommen war, versuchte sie erneut, ihn zu erreichen, aber er
meldete sich nicht. Sie probierte es immer wieder in immer kürzeren Abständen. Erfolglos.
Schließlich war er es, der am Nachmittag noch einmal anrief. Angeblich sei der Akku seines Telefons leer gewesen. Als sie
ihm Vorhaltungen machte, reagierte er ungeduldig. «Ja, natürlich geht’s mir gut. Was soll denn sein? Ich komme schon rechtzeitig
heim. Nun stell dich nicht so an.»
Sein Ton hatte sie eingeschüchtert, und so hatte sie sich bis jetzt nicht getraut, bei den Freunden herumzutelefonieren. Sie
fürchtete, von Bernd zurechtgewiesen zu werden, denn schon einmal, als er eine Nacht nicht nach Hause gekommen |138| war, hatte er sich verbeten, dass sie ihm, wie er es genannt hatte, hinterherschnüffele. Mehr noch aber hatte sie wohl Angst
davor, dass sich ihre Vermutung als zutreffend erweisen könne, dass Bernd an der Hochzeit längst nicht so viel lag wie ihr,
dass er womöglich im letzten Moment einen Rückzieher machen könne.
In den vergangenen beiden Nächten hatte sie kaum geschlafen. Sie hatte das Radio laufen lassen und alle halbe Stunde den Verkehrsfunk
gehört, um zu erfahren, ob es irgendwo einen Unfall gegeben habe. In den Nachrichten war immer wieder vom Besuch des amerikanischen
Präsidenten die Rede gewesen. Bald hatte sie das Gefühl gehabt, den Wortlaut der Sendungen mitsprechen zu können. Auf Bernds
Handy meldete sich niemand mehr.
Jetzt saß sie am Wohnzimmerfenster und weinte. Es war fast acht Uhr, und Bernd war noch immer nicht da. Um neun hatten sie
ihren Termin beim Standesamt. Nebenan in der großen Küche hatte sich die Verwandtschaft versammelt: ihre Eltern, seine Eltern,
die Geschwister, deren Partner und die beiden kleinen Nichten, die Blumen streuen sollten. Alle waren festlich gekleidet.
Und schon vor einer Stunde hatte auch Bettina ihr weißes Kostüm angezogen. Sie hatte gebeten, alleine sein zu dürfen, aber
alle paar Minuten kam jemand herein, um sie zu beruhigen.
Jetzt stand ihr Vater neben ihr und legte ihr eine Hand auf die Schulter.
«Mach dir keine Sorgen», sagte er. «Vielleicht ist wieder etwas mit dem Wagen. Oder er wird festgehalten, weil er das Auto
noch nicht umgemeldet hat. Womöglich steckt er auch bloß im Stau. Gerade haben sie durchgegeben, dass die Straßen und Autobahnen
rund um das Frankfurter Kreuz abgesperrt sind. Du wirst sehen, er kommt rechtzeitig. Hast du schon etwas gegessen? Soll ich
dir eine Tasse Kaffee bringen?»
|139| Bettina schüttelte stumm den Kopf. Sie wusste, dass ihr Vater nicht begeistert war von ihrem Zukünftigen, und so war sie froh,
dass er ihr jetzt keine Vorhaltungen machte.
Kurz darauf kam ihre Mutter ins Zimmer.
«Ich denke, wir sollten jetzt fahren», sagte sie.
Eine halbe Stunde später standen sie alle auf dem Römerberg vor dem alten Rathaus. Die Sonne schien auf den Platz. Bettinas
Hoffnung, dass Bernd vielleicht direkt zum Standesamt gefahren war, um dort auf sie zu warten, wurde enttäuscht.
Obwohl es noch früh war, war es schon jetzt sehr warm. Ein paar japanische Touristen wollten die deutsche Braut filmen. Aber
als sie Bettinas Gesicht sahen, nahmen sie Abstand von ihrem Wunsch und entschuldigten sich. Sie drehten sich um und filmten
stattdessen den Brunnen und die Fachwerkzeile. Wahrscheinlich wussten sie nicht, dass die Häuser hinter der schönen Fassade
aus Beton erbaut worden waren, vielleicht war es ihnen auch egal.
Alle schauten unentwegt auf die Uhr. Es
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