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Ein allzu schönes Mädchen

Titel: Ein allzu schönes Mädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Seghers
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sich nicht jedes fremde Leid zu Herzen nehmen durfte. Dennoch war er fest entschlossen, lieber seinen Dienst
     zu quittieren, als jemals zu einem dieser achselzuckenden Zyniker zu werden, die glaubten, ihre Abgebrühtheit auch noch dadurch
     beweisen zu müssen, dass sie unentwegt dumme Witze rissen.
    Erwin Fellbacher, der sich jetzt vom Parkplatz her näherte, schien Marthalers Scheu fremd zu sein. Mit der energischen Entschlossenheit
     eines erfolgreichen Handelsvertreters lief er auf den Kriminalkommissar zu, begrüßte ihn wie einen alten Bekannten und vermittelte
     den Eindruck, als freue er sich darauf, die Leiche jenes Mannes zu identifizieren, der um ein Haar sein Schwiegersohn geworden
     wäre.
    Über die ehemalige Dienstbotentreppe erreichten sie das Souterrain des Gebäudes, wo sich die Sektionssäle und die Arbeitsräume
     der Pathologen und Präparatoren befanden. So verspielt die Architektur des Hauses von außen auch wirkte, |173| hier im Inneren herrschte kühle Sachlichkeit. Anders als in Sabatos Kellerverlies im Polizeipräsidium war die Ausstattung
     des Instituts auf dem neuesten Stand der technischen Entwicklung.
    Marthaler ging voran bis ans Ende des hellen Flurs, dann klopfte er an die Tür eines Büros. Statt eines «Herein» hörte er
     nur ein leises Krächzen. Hinter dem Schreibtisch saß ein kleiner, buckliger Mann von höchstens fünfunddreißig Jahren, dessen
     schmaler Schädel nur noch von wenigen stumpf-blonden Haaren umkränzt war. Marthaler hatte den Mann noch nie gesehen. Alles
     an ihm wirkte knochig. Zwischen Zeige- und Mittelfinger der linken Hand hielt er eine brennende Zigarette, deren Spitze in
     Richtung Tür zeigte. Es sah aus, als wolle er sie im nächsten Moment wie einen Dartpfeil auf seine Besucher schleudern.
    «Oh», sagte Marthaler, «entschuldigen Sie bitte, ich wollte zu Professor Prußeit.»
    Marthaler wusste nicht, ob es sich bei dem Ausdruck, der sich jetzt auf dem Gesicht des Pathologen zeigte, um ein Grinsen
     oder doch eher um ein verunglücktes Lächeln handelte. Der Mann fuchtelte mit beiden Händen durch die Luft, als wolle er ein
     unsichtbares Spinnennetz zerreißen, dann nickte er ein paarmal mit dem Kopf und brachte unter einer Art röchelndem Husten
     einen Satz hervor, von dem Marthaler nur ein paar Worte verstand.
    «Herzlich. Doktor. Urlaub   … alles   …Vertretung. Herzlich.»
    Marthaler brauchte einen Moment, bis er begriff, dass es sich bei dem Wort «Herzlich» nicht etwa um einen besonderen Willkommensgruß
     handelte, sondern um den Namen des Mannes, der sich ihm vorstellen und mitteilen wollte, dass er die Urlaubsvertretung von
     Professor Prußeit übernommen hatte.
    |174| «Meine Kollegin hatte angerufen», sagte Marthaler, «es geht um die Identifizierung.»
    Dr.   Herzlich reagierte erneut mit heftigem Nicken, dann warf er mit einem Mal seinen Kopf in den Nacken, schniefte mehrmals laut,
     öffnete, ohne hinzuschauen, mit der Rechten die oberste Schublade des Schreibtisches, entnahm ihr ein kleines Fläschchen,
     schraubte es auf und träufelte sich mittels einer Pipette einige Tropfen einer farblosen Flüssigkeit in jedes Nasenloch. Dann
     sprang er auf und kam so zielstrebig auf den Eingang zu, dass sowohl Marthaler als auch Fellbacher auswichen. Dr.   Herzlich wedelte, während er vor ihnen den Gang hinablief, mit den Händen, was wohl als Aufforderung an seine Besucher gemeint
     war, ihm zu folgen. Er entriegelte die Tür zum Sektionssaal, öffnete eine der Kühlkammern und zog den Stahlschlitten mit dem
     Leichnam heraus. Dann wandte er sich um und blickte Fellbacher mit leeren Augen an.
    Marthaler fröstelte. Verglichen mit der sommerlichen Hitze im Freien, herrschten in den Sektionssälen geradezu eisige Temperaturen,
     und man verstand, warum die Pathologen und ihre Assistenten im Sommer so oft erkältet waren.
    Auch Erwin Fellbacher zitterte ein wenig.
    Er schaute unverwandt in das fahle Gesicht des Toten, dessen Körper Dr.   Herzlich rasch von den Füßen bis zum Kinn mit einem Tuch bedeckt hatte.
    Fellbacher schaute, aber er sagte nichts.
    Marthaler war irritiert. Um nicht die Leiche ansehen zu müssen, schaute er in Fellbachers Gesicht und wartete auf eine Reaktion.
     Warum brauchte der Mann so lange, um den Bräutigam seiner Tochter zu erkennen?
    Sie schwiegen. Es war nichts zu hören außer dem Brummen der Kühlaggregate und dem gelegentlichen Schniefen von Dr.   Herzlich.
    «Herr Fellbacher, geht es Ihnen gut?»,

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