Ein allzu schönes Mädchen
noch einmal. Du wolltest wissen, was mit Jochen Hielscher war.»
«Ist es dringend, oder kann das bis morgen warten?», fragte Marthaler. «Was mich mehr interessiert: Hast du von den anderen
etwas gehört?»
«Das Beste wird sein, du schaltest den Fernseher ein. Das Hessenfernsehen hat gerade einen Bericht über Herrmanns |250| Aktion vom Vormittag angekündigt. Die Sendung kommt in fünf Minuten. Ich dachte, das solltest du dir anschauen.»
«Danke. Ist sonst noch was?»
«Nein.»
«Gibt es Neuigkeiten von deiner Tochter?»
«Sie haben den Test machen lassen», sagte Elvira. «Jetzt warten sie auf das Ergebnis. Ich werde dich auf dem Laufenden halten.»
«Bis morgen», sagte Marthaler.
Er suchte die Fernbedienung seines Fernsehers. Er fand sie unter einem Stapel alter Zeitungen, den er längst hatte wegwerfen
wollen. Er nahm sich vor, wenn sie diesen Fall abgeschlossen hatten, endlich einmal wieder seine Wohnung gründlich aufzuräumen
und zu putzen. Der Teppichboden musste dringend gesaugt werden, in der Spüle stapelte sich seit Tagen das schmutzige Geschirr,
und der Wäschekorb quoll auch schon wieder über. Obwohl seine Mutter versucht hatte, ihn dazu zu erziehen, seine Sachen in
Ordnung zu halten, war ihm das nie wirklich gelungen. Immer wieder fand er neue Ausreden, um die Hausarbeit aufzuschieben:
Mal war er zu erschöpft, mal fand er, dass er sich einen ruhigen Abend mit Musik verdient hatte, dann wieder gab es wirklich
Wichtigeres zu tun. Und erst wenn er bei jedem Klingeln an der Haustür fürchtete, es könne unverhoffter Besuch kommen, merkte
er, wie unwohl er sich bereits selbst in der eigenen Unordnung fühlte.
Er schaltete den Fernseher ein. Als er das richtige Programm gefunden hatte, lief eine Werbesendung. Dann erschien der Nachrichtensprecher.
Er sah aus wie ein Model für Herrenbekleidung. So sahen sie jetzt immer öfter aus. Sprechende Puppen, dachte Marthaler, die
keine Beziehung haben zu dem, was sie sagen. Sie wirken, als würden sie alle auf derselben Moderatorenschule ausgebildet.
Dieselbe Mimik, dieselben Gesten, dieselbe Stimme. Engagiertes Gefuchtel und |251| einen treudoofen Dackelblick, mehr brachten sie nicht zustande. Seit die alten Fernsehanstalten versuchten, den Privatsendern
Konkurrenz zu machen, war es egal, welches Programm man einschaltete. Es ging nur noch um Glamour, um Stars und um das so
genannte Menschliche, um das öffentlich gemachte Glück oder Unglück der Leute. Selbst die politischen Sendungen arbeiteten
immer mehr mit den billigsten Reizen. Marthaler hatte schon häufiger überlegt, den Fernseher abzuschaffen. Und schon seit
längerem schaute er sich höchstens dann und wann mal eine Tiersendung oder die Übertragung eines Konzertes an.
«Der Schlächter vom Stadtwald hat wieder zugeschlagen. Zwei schreckliche Morde erschüttern ganz Frankfurt», sagte der Sprecher.
«Die Polizei steht unter Erfolgsdruck. Aber noch immer lassen konkrete Ermittlungsergebnisse auf sich warten. Schon gibt es
erste Stimmen, die sich fragen, ob die Leitung der Frankfurter Kripo ihren Aufgaben gewachsen ist. Eine groß angelegte Aktion
vom heutigen Tag endete mit einer beispiellosen Blamage.»
Zur Bebilderung ihres Berichtes zeigten sie genau jenes Foto vom ersten Tatort, das der Polizeilaborant an die Zeitung verkauft
hatte. Marthaler war kurz davor, den Fernseher wieder auszuschalten. Aber obwohl er sich denken konnte, was jetzt kam, zwang
er sich, weiter zuzuschauen.
Es folgte ein Interview mit Hans-Jürgen Herrmann, das noch am Morgen, vor Beginn der Aktion und offenbar direkt nach ihrer
Besprechung, im Hof des Präsidiums geführt worden war. Im Hintergrund sah man die Männer des Sondereinsatzkommandos mit ihren
Waffen und Helmen hantieren. Herrmann strotzte vor Selbstbewusstsein. Er hatte alles gut vorbereitet. Er wollte die größtmögliche
Aufmerksamkeit. Er blickte lächelnd in die Kamera. Er sei sich sicher, sagte er, dass man schon am Mittag eine Festnahme vermelden
könne.
|252| Sie zeigten Bilder vom Sturm der SE K-Leute auf eine Videothek und auf ein Sonnenstudio. Dann sah man die Hundestaffel mit einer Hundertschaft Polizisten den Stadtwald
durchkämmen. Darüber die Stimme des Moderators: «Entgegen allen Versicherungen des Leiters der Mordkommission führten die
groß angelegten Maßnahmen der Polizei nicht zur Verhaftung des verdächtigen Geschäftsmannes Jörg G. Sie konnten auch gar nicht dazu
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