Ein Alptraum für Dollar
Krinolinen. Die Männer tragen Backenbärte, die Frauen kunstvolle Frisuren mit Korkenzieherlocken. Selbst der Raum ist stilecht eingerichtet: Louis-Philippe Möbel und natürlich kein elektrisches Licht, sondern nur kerzenbesteckte Wandleuchter und Kandelaber. Rechts an der Wand stehen ein Flügel und eine Harfe — davor im Halbkreis Sessel und Kanapees: die Musikecke.
»Treten Sie ein, lieber Freund! Sie ahnen nicht, welche Freude Sie uns machen!«
Ziemlich verlegen weist Paul Bordier auf seinen deplazierten Anzug:
»Ich wußte nicht, daß es sich um ein Kostümfest handelt... sonst hätte ich mich selbstverständlich auch gerne verkleidet.«
Seltsamerweise sagt aber Hippolyte Manceau nichts dazu. Vertraulich faßt er den jungen Gast am Arm: »Kommen Sie! Darf ich vorstellen... Meine Frau Clara, meine Tochter Louise und ihr Mann Jules Fonçain, mein ältester Enkel Adrien, Kadett an der Marineschule, Edouard Manceau, mein Großneffe, Jurist im dritten Studienjahr...«
Pauls Verblüffung wächst mit jeder Sekunde. Welch eine ungewöhnliche Vorstellung! Sollte der alte Mann etwa nicht ganz richtig im Kopf sein? Er hat ihn nicht einmal nach seinem Namen gefragt! Wirklich sehr merkwürdig! Der weitere Verlauf der Soiree ist nicht weniger erstaunlich. Hippolyte Manceau führt ihn zu einem Sessel direkt vor dem Flügel. Die beiden Enkel stimmen ihre Geigen — Clara setzt ein, und das Hauskonzert beginnt.
Bordier ist allmählich konsterniert. Die anderen Mitglieder dieser kuriosen Familie haben sich um ihn herum gesetzt — ohne auch nur ein Wort zu sagen. Ohne einmal höflich mit dem Kopf zu nicken. Was wird hier gespielt — außer Mozart? Was ist das für eine Abendgesellschaft, wo man nicht einmal eine Erfrischung serviert bekommt, wo keiner sich die Mühe macht, ein paar belanglose Worte zu reden? Was sind das für Leute?
Auf dem kleinen Leuchtertisch neben sich erspäht Paul immerhin einen Aschenbecher! Rauchen ist also anscheinend gestattet. Wenigstens etwas — eine Zigarette, das wird ihn aufrecht halten.
Mozarts Töne erfüllen den Raum. Bordier hat nur mäßige Freude an der Hausmusik der Manceaus. Aber er läßt sich seine Langeweile selbstverständlich nicht anmerken — nur seine Blicke schweifen verstohlen durch den kerzenbeleuchteten Salon. Niemand beachtet ihn — so als wäre er gar nicht da. Die ganze Familie sitzt mit geschlossenen Augen — wie in Ekstase.
Noch etwas Seltsames fällt ihm auf: An der Wand über dem Flügel hängt eine Reihe von Bildern — eine Art Ahnengalerie —, aber es sind nicht etwa die Porträts der verstorbenen Vorfahren — nein. Es sind die Porträts aller Anwesenden, unglaublich realistisch gemalt, als wären es Photographien. Eine rätselhafte Familie, weiß Gott! Warum haben sie sich alle in dieser romantischen Verkleidung malen lassen?
Das Konzert nimmt kein Ende. Sobald ein Stück ausklingt, beginnen die drei Musiker sofort ein neues. Ohne die geringste Atempause. Und sie spielen auch nicht vom Blatt, sondern auswendig — wie Berufsmusiker, nur nicht ganz so virtuos vielleicht.
Als der letzte Ton verklingt, ist es kurz vor Mitternacht. Erst jetzt wendet sich Hippolyte Manceau wieder an seinen jungen Gast:
»Ich hoffe, es hat Ihnen gefallen?«
»Sehr...«
Paul Bordier wartet noch ein paar Minuten. Doch niemand kommt zu ihm, niemand spricht ihn an. Also versteht er, daß die Abendgesellschaft beendet ist, und er verabschiedet sich:
»Nun... es war mir ein Vergnügen. Ich möchte mich für die freundliche Einladung und für die wundervolle Musik ganz herzlich bedanken.«
Der alte Gastgeber erhebt sich und lächelt:
»Sehr liebenswürdig, daß Sie uns die Ehre gegeben haben. Au revoir, Monsieur.«
Und schon steht Paul vor der Tür, im Treppenhaus. Noch nie war er so verwirrt. Langsam steigt er die Treppe hinunter.
Auf der Straße holt er sofort sein Zigarettenetui aus der Tasche und sucht sein Feuerzeug. Da fällt ihm ein, daß er es bei seinem überstürzten Aufbruch auf dem kleinen runden Tisch hat liegen lassen. Also geht er gleich wieder nach oben und läutet an der Tür, erste Etage links.
Als wohlerzogener junger Mann läutet er nur ganz kurz und wartet. Nichts. Nach einer Minute versucht er es wieder. Immer noch nichts! Er preßt das Ohr an die Tür: vollkommene Stille. Zorn steigt in ihm auf! Die veralbern mich wohl! Jetzt klingelt er Sturm — doch weiterhin vergeblich. Wenn er partout etwas nicht leiden kann, dann daß man ihn zum besten
Weitere Kostenlose Bücher