Ein altes Haus am Hudson River
meine Süße? Beunruhigt dich etwas?»
Ja, ihre Mutter. Sie seien nun vier Tage weg, rief sie Vance in Erinnerung, Mrs Tracy wisse nicht einmal, wo sie seien, und werde sich furchtbar über den Brief ihrer Tochter geärgert haben; Laura Lou wünsche sich am allermeisten, dass sie sofort nach Paul’s Landing zurückführen –«O Vance, sag, geht das nicht?» –, ihre Mutter mit der wunderbaren Nachricht überraschten und noch am selben Tag alles wieder in Ordnung brächten. Ob Vance ihr nicht helfen wolle, gleich zu packen, vielleicht könnten sie noch den Fünf-Uhr-Express erreichen und bei Mrs Tracy hereinplatzen, wenn sie gerade das Abendessen abräumte?
Das Hotel lag in Bahnhofsnähe, und gepackt war schnell. Insgeheim war Vance erleichtert über den Vorschlag seiner Frau. Der Glücksrausch hatte allen Groll gegen Mrs Tracy hinweggefegt, und er hatte das unbestimmte Gefühl, dass es unrecht gewesen war, Laura Lou ohne Wissen ihrer Mutter zur Heirat zu überreden. Nur die Gewissheit, dass Mrs Tracy dagegen sein würde, hatte ihn so handeln lassen; dennoch wurde er sein schlechtes Gewissen nicht los, denn ihr Leben war voller Enttäuschungen gewesen, und Laura Lous Flucht war bestimmt die bitterste. Doch jetzt war alles anders. Mit den beiden Verträgen in der Tasche konnte er seiner Schwiegermutter erhobenen Hauptes gegenübertreten. Sicher sah sie ihre Tochter lieber mit einem Redakteur verheiratet als mit einem Fremdenführer in einem Touristenbus, und wenn Vance den Pulsifer-Preis bekäme, würde Hayes’ Darlehen mit einem Schlag abgetragen. Sie bezahlten eilig, liefen zum Bahnhof und fanden unterwegs noch Zeit, für Mrs Tracy eine schwarzseidene Tasche mit einem Bügel aus imitiertem Bernstein zu kaufen.«Sie hat nie etwas Hübsches», erklärte Laura Lou, als wollte sie sich für eine so leichtsinnige Wahl entschuldigen, und Vance dachte an den Korb mit den Wicken und der ausgestopften Taube und geriet wieder einmal ins Grübeln über die geheimnisvolle Nützlichkeit des Nutzlosen.
23
Mrs Tracys Vergebung zu erlangen war schwieriger, als sie sich vorgestellt hatten. Sie fielen am Abend bei ihr ein, als sie gerade, wie Laura Lou vorhergesagt hatte, die Reste ihres einsamen Abendessens forträumte, und ihre Ankunft führte zu einem Schwall von Tränen und einer Umarmung, in die sich auch Vance hineindrängte. Aber Mrs Tracys Gefühlsausbruch beeinträchtigte nicht ihr Urteilsvermögen. Der pikierte Briefwechsel zwischen Paul’s Landing und Euphoria hatte nach Vance’ Hausverweis untilgbare Spuren hinterlassen. Selbst wenn die Aussichten ihres Schwiegersohns sie so beeindruckt hätten, wie er gehofft hatte, hätte sie ihre Meinung nicht geändert; sie war indes, wie Vance bald erkannte, völlig unempfänglich für die Schriftstücke, die er stolz vor ihr ausbreitete.«Ich glaube, die Arbeit bei einer Zeitung ist sicherer als die bei einer Zeitschrift», bemerkte sie nur, zweifellos eingedenk der schwindelnden Höhen, in die der Journalismus Bunty Hayes erhoben hatte.
Aber dies waren zweitrangige Bedenken, denn nun sah sie in Vance vor allem den Verführer ihrer beiden Kinder. Vance hatte Upton in ein«schlimmes Haus»mitgenommen (Upton, diese Schlange, hatte also niemals seinen Teil der Schuld eingestanden!), Vance hatte Laura Lou bewogen, ihre Mutter zu täuschen und das Bunty Hayes gegebene Wort zu brechen, aufgrund dessen Mrs Tracy ein Darlehen akzeptiert hatte, das zurückzuzahlen womöglich Jahre dauerte. Vance hatte sie in ihrem Stolz und ihrer Liebe verletzt, und diese doppelte Demütigung wurde durch das vage Gerede über eine Zeitschrift, die ihm hundert Dollar für einen Artikel geben würde, den er noch gar nicht geschrieben hatte, nicht aus der Welt geschafft.
« Mr Hayes wollte, dass sie zu einer Dame erzogen wird, wie es sich für die Tochter ihres Vaters gehört», sagte Mrs Tracy wieder und wieder zu Vance, als sie am Tag nach der Rückkehr zum ersten Mal unter vier Augen mit ihm sprach.
« Sie muss sich nicht von Hayes bezahlen lassen, um zu lernen, wie man eine Dame wird – ich finde, Gott hat sie schon zu einer gemacht», erwiderte Vance. Kühl und geduldig sagte Mrs Tracy, er wisse genau, was sie meine. Sie meine, gebildet wie eine Dame, so wie seit jeher alle Lorburns gebildet waren, durch eine Erziehung, die sie selbst ihren Kindern nicht bieten könne, weil ihr Mann so viel Pech gehabt habe und gestorben sei, als gerade alles schiefging. Mr Hayes habe das verstanden und ihnen
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