Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein altes Haus am Hudson River

Ein altes Haus am Hudson River

Titel: Ein altes Haus am Hudson River Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edith Wharton
Vom Netzwerk:
helfen wollen, er habe gehandelt wie ein Gentleman …
    « Sie dürfen mir zutrauen, dass ich ebenso anständig handle wie er», sagte Vance, zu glücklich, um überempfindlich zu sein, und wohl wissend, dass er lediglich dürftige Gründe für sein Verhalten anführen konnte. Doch Mrs Tracy antwortete nur, ganz gleichgültig, wie Laura Lou in dieser Angelegenheit denke, es habe ihr nicht freigestanden, die Verlobung zu lösen, solange diese tausend Dollar nicht zurückgezahlt seien.
    « So? In den Vereinigten Staaten gibt es doch seit einigen Jahren ein Gesetz, das Menschenhandel verbietet», brach es aus dem zunehmend gereizten Vance heraus. Doch der Unmut in Mrs Tracys Augen zeigte ihm, dass seine Ironie an sie verschwendet war.
    « Ich verstehe ja, was Sie empfinden», begann er demütig.« Aber Laura Lou liebt mich und nicht Hayes, mehr gibt es da nicht zu sagen. Außerdem habe ich Ihnen ja schon erklärt, dass ich das Darlehen so schnell wie möglich zurückzahlen werde. Man hat mir ein Gehalt von fünfzehnhundert Dollar in Aussicht gestellt, und ich mache mich sofort an die Arbeit, um dieses Geld und möglichst noch einiges mehr zu verdienen. Jeder Cent, den ich am Monatsende zurücklegen kann, wird dafür verwendet, Hayes’ Darlehen zu tilgen. Sie werden doch nicht im Ernst erwarten, dass Laura Lou und ich uns von tausend Dollar auseinanderbringen lassen, oder?»
    Mrs Tracy erkundigte sich gewunden, ob er inzwischen wisse, was seine eigene Familie mit ihm vorhabe, und das brachte Vance aus dem Takt, denn er hatte seinen Eltern noch nicht von seiner Heirat erzählt. Mit rotem Gesicht und unentschlossen stand er vor Mrs Tracy, während sie fortfuhr:«Für sie sind tausend Dollar kein solcher Berg wie für mich. Aber vielleicht sehen sie es nicht gern, dass du so früh geheiratet hast.»
    « Ich … ich hab noch nichts von ihnen gehört», stammelte Vance, und sie, einen Vorteil witternd und erfreut über die Chance auf eine grimmige Großherzigkeit, schlug vor:«Am besten bleibt ihr beide hier, bis du erfährst, was deine Familie unternehmen will.»
    Vance und Laura Lou wussten, dass Mrs Tracy insgeheim heilfroh war, sie bei sich zu haben. Uptons neue Stelle machte es ihm unmöglich, in Paul’s Landing zu wohnen, und obgleich sich seine Mutter allein im Haus ängstigte, wollte sie wegen der monatlichen Entlohnung für die Betreuung von The Willows nicht umziehen, sodass es ihr jetzt, nachdem sie ihrem Ärger Luft gemacht hatte, gelegener kam, die Übeltäter zu beherbergen, als sie fortzuschicken.
    Als Vance Laura Lou entführt hatte, war ihm nie der Gedanke gekommen, sie müssten womöglich in Paul’s Landing leben. Unbestimmte Träume von einem Leben in einer New Yorker Pension waren ihm durch den Kopf gehuscht oder hatten kaum sichtbar am Horizont gelauert, doch solange er Laura Lou noch nicht überredet hatte, zu ihm zu kommen, war außer der Seligkeit, nach der er sich verzehrte, nichts wirklich oder greifbar gewesen; und erst nach vier Tagen Seligkeit begriff er, dass es ihm an Erfahrung und Geld fehlte, um ihr so etwas wie ein Zuhause zu bieten. Sie konnten von Glück sagen, dass sie bei Mrs Tracy Unterschlupf fanden; ihre zögernde Vergebung und der Schutz ihres baufälligen Daches waren das Beste, womit sie rechnen konnten – es sei denn, die Mapledale Avenue griff ein. Doch Vance erwartete kaum Hilfe von daheim. Mrs Tracys Frage hatte ihn in die Wirklichkeit zurückgejagt. Er hatte nicht vorgehabt, die Heirat geheim zu halten, er hatte seine Eltern einfach nur vergessen. Seit dem Moment vor knapp vierzehn Tagen, als er aus der Grand Central Station getreten war und Laura Lou in dem Touristenbus gesehen hatte, hatte er an nichts anderes mehr gedacht – sogar kaum mehr an seine Kunst. Laura Lous Anblick, der Klang ihrer Stimme und die Berührung ihrer Hand hatten ihn allen landläufigen Werten und Maßen entfremdet und in jenes geheimnisvolle Reich entrückt, in das er sich manchmal vor dem Druck der Gegebenheiten flüchtete. Zu diesem Reich besaß nun Laura Lou den Schlüssel, so wie ihn bisher die großen Dichter besessen hatten oder der Sonnenaufgang auf dem Thundertop, der erste Blick aufs Meer, das Eintauchen in die Vergangenheit in der Bibliothek von The Willows und andere Erschütterungen seiner Vorstellungskraft, die ihm die Tore zur Welt der Wunder aufgestoßen hatten. Die Welt, in die Laura Lou ihn einließ, schien alle anderen zu umfassen, und erst als er aus der ersten Ekstase erwacht

Weitere Kostenlose Bücher