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Ein altes Haus am Hudson River

Ein altes Haus am Hudson River

Titel: Ein altes Haus am Hudson River Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edith Wharton
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andere; ich merke nur, das ist die meine, jedenfalls für die Stoffe, die ich bearbeiten will. Und da zählt sogar ein Taschentuch in der Hand einer Frau …»
    Sie nickte.«Natürlich.»
    « Und all das hätte ich nie herausgefunden, wenn Sie es mir nicht erzählt hätten.»
    « Doch, das hätten Sie … Sie sind dafür geschaffen …»
    « Ich glaube, ich war für Sie geschaffen», antwortete er, unsicher lachend. Sie erwiderte das Lachen, dann schob sie seufzend den Stuhl zurück.«Es ist spät, ich muss gehen. Aber hier ist ja nun alles in Ordnung, Sie haben sämtliches Material, das Sie brauchen, und wissen, wie Sie es einsetzen müssen. Es freut mich, dass ich mit diesem Gefühl der Sicherheit fortgehe.»
    Tief in seinem Traum verfangen, protestierte er:«Aber Sie werden doch nicht gehen? Es ist noch gar nicht spät, und ich habe hier zwei, drei Dinge …»
    Sie stand kopfschüttelnd auf.«Oh, davon müssen Sie mir dann schreiben oder bei mir vorbeischauen, wenn Sie nach New York kommen …»
    Er saß über den Tisch gebeugt da, das Kinn auf die verschränkten Hände gestützt, und starrte sie verständnislos an. « Ihnen schreiben? Was meinen Sie damit? Können Sie morgen nicht kommen?»
    « Nein, und übermorgen auch nicht. Unsere Ferien sind vorbei, Vance – wussten Sie das nicht?»
    « Vorbei … warum?»
    « Weil mein Mann heimkommt; ich fahre nach New York, um ihn abzuholen.»
    Die Worte trafen sein erregtes Gehirn wie kleine Schläge mit einem tödlichen Werkzeug. Anfangs fühlte er sie kaum – dann taumelte sein Kopf unter dem Schock, und einen Augenblick lang verschlug es ihm die Sprache.
    « Aber es geht Ihnen jetzt gut, ich meine, dem Buch geht es gut – Sie sehen Ihren Weg vor sich, nicht wahr, Vance?»
    Er blickte immer noch ungläubig zu ihr auf.«Ich sehe nichts anderes als Sie.»
    « Oh …», murmelte sie, setzte sich wieder und blickte ihn über den vertrauten Tisch hinweg an.«Nun, das ist kein Wunder: So wie jetzt haben wir einander zwei Monate lang fast täglich angeschaut …»
    Vance hörte nicht zu. Er war genauso hingerissen wie an dem Tag, als er Laura Lou in dem Touristenbus gesehen hatte, und achtete nicht auf das, was sie sagte. Er saß da und blickte Halo Tarrant mit einer Konzentration an, die von jener Ekstase im April meilenweit entfernt und dennoch ebenso intensiv war.« Mir ist, als hätte ich Sie noch nie angesehen», platzte er heraus.
    « Ja, den Eindruck habe ich auch», antwortete sie. Ihre Lippen begannen zu lächeln, dann wurde sie ernst, und ihre blasse Haut verfärbte sich. Sie saß regungslos da und erwiderte seinen Blick so unverwandt, als wollte sie in seine Augen eindringen und auf gewundenen Wegen bis tief in seine Seele schlüpfen. Nach einer Weile senkte sie die Lider und machte Anstalten aufzustehen.«Aber jetzt erkennen Sie mich wieder, nicht wahr, wenn wir uns das nächste Mal sehen?»
    Er gab keine Antwort. Ihr Scherz schwebte in einer bedeutungslosen, blendenden Helle irgendwo außerhalb von ihm; sein eigentliches Ich konzentrierte sich in seinem Innern darauf, ihr Bild festzuhalten, es Linie um Linie, Kurve um Kurve nachzuzeichnen mit der leidenschaftlichen Hand der Erinnerung. Die Frau, in der er immer nur eine körperlose Intelligenz gesehen hatte, stahl sich nun in seine Adern und Fasern wie Wein, wie Wind, wie die samentragenden Frühlingslüfte. Er blickte auf ihre Hände, die gefaltet vor ihr auf dem Tisch lagen, und fragte sich, wie ihre Handflächen aussahen oder das Grübchen ihrer Armbeuge.«Nein, ich habe Sie nicht gekannt», wiederholte er dümmlich.
    « Aber wir waren … wir waren …»Sie brach ab und begann in einem entschlosseneren Ton:«Ihr Buch hat jetzt eine Stufe erreicht, wo Sie besser allein weiterarbeiten. Ein Schriftsteller sollte sich nicht zu sehr von den Ratschlägen anderer abhängig machen. Wenn ich Ihnen helfen konnte …»
    « Ach, zum Teufel mit dem Buch», unterbrach er sie und vergrub sein Gesicht in den Händen. Die Tränen erstickten seine Stimme und brannten ihm in den Augäpfeln. Er hatte nicht gewusst – warum nicht? –, dass es so sein würde … Im Zimmer wurde es still. Er hörte, wie eine Fliege gegen die Scheibe knallte und nach dem Aufprall aufs Fensterbrett fiel. Von draußen drang das bunte Summen des Sommernachmittags herein. Mrs Tarrant bewegte sich. Sie ging um den Tisch herum, er spürte, wie sie näher kam, ihre Hand auf seine Schulter legte.«Nicht, Vance. Denken Sie dran: Sie haben Ihre Arbeit,

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