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Ein altes Haus am Hudson River

Ein altes Haus am Hudson River

Titel: Ein altes Haus am Hudson River Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edith Wharton
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ihn offenbar verdächtigte. Er war jetzt überzeugt, dass sie in der Absicht gekommen war, ihn zu überraschen, infolge irgendeiner Nachricht, die sie erhalten hatte, und in Zwangslagen war er noch nie besonders schlagfertig gewesen.
    « Ach was, ich brauch dich ja gar nicht fragen, wer dich reinlässt», fuhr sie fort.«Du hast massenhaft Zeit gehabt, dass du die Schlüssel nachmachen lässt, wie ich krank war.»
    « Natürlich – wäre ich auf eine so gemeine Idee gekommen.»
    « Gemein? Das würd dich wohl kaum dran hindern, dass du hierherkommst, wenn du’s dir in den Kopf gesetzt hast, Bücher zu klauen oder dich mit Frauen zu treffen … oder vielleicht beides …», erwiderte sie hastig und mit zitternder Stimme.
    Ihre Aufgeregtheit wirkte beruhigend auf Vance.«Warum nicht beides, wie du sagst?», antwortete er gleichmütig und begann seine Papiere einzusammeln. Bestimmt war sie nicht grundlos hierhergekommen, also sollte sie auch die Last der Erklärung tragen, das war unverfänglicher. Man konnte ihm nur vorwerfen, Laura Lou verschwiegen zu haben, dass er in The Willows schrieb und nicht in der Redaktion der«Neuen Stunde » – eine lässliche Sünde. Er hatte den ganzen Sommer geschuftet, um das Geld zurückzuzahlen, das Mrs Tracy von Bunty Hayes angenommen hatte, und die Frauen sollten ihn lieber in Ruhe lassen, sonst … Schweigend stopfte er seine Papiere in das gewohnte Fach und ging zur Tür.
    Mrs Tracy trat ihm in den Weg.«Wo gehst du hin?»
    « Heim.»
    « Heim? Das ist ein Ort, wo du dich nicht oft blicken lässt. Warum schreibst du nicht da – wenn du wegen dem Schreiben herkommst, wie du’s ja behauptest?»
    « Weil ich nie in Ruhe gelassen werde», sagte er, und der Ärger schwoll wieder an.
    Mrs Tracy witterte einen Vorteil und lachte.«Nicht mit der richtigen Frau, meinst du wohl?»
    Vance blieb vor ihr stehen. Na gut, wenn sie eine Szene machen wollte – und er merkte, dass sie sich durch Schwindeln nicht davon abbringen ließ –, dann stand er sie lieber gleich hier durch, damit Laura Lou nicht auch noch hineingezogen wurde.« Worauf willst du hinaus? Ich kann dir erst antworten, wenn ich das weiß», sagte er mürrisch.
    « Also dann – ich will wissen, wer diese Frau ist, mit der du dich hier triffst!»
    Das Blut stieg ihm ins Gesicht.«Unsinn. Ich habe dir bereits gesagt, dass Mrs Tarrant heute hier war. Gib mir lieber ihren Handschuh, ich bring ihn ihr zurück.»
    Mrs Tracy reagierte nicht. Sie zögerte einen Augenblick, dann sagte sie:«Du hast meine Frage noch nicht beantwortet. Hat keinen Sinn, um die Sache rumzureden. Alle Nachbarn wissen schon, was hier los ist. Laura Lou hat einen Brief mit einem Hinweis gekriegt. Du fragst, worauf ich rauswill? Also: Ich bin hier, um rauszukriegen, was du vorhast, jetzt, wo wir dich erwischt haben. Das ist ja wohl deutlich genug, oder?»Sie schleuderte ihm die Worte schrill und monoton entgegen, als habe sie ihr jemand beigebracht und als habe sie Angst, sie nicht in der richtigen Reihenfolge aufzusagen.
    Vance war sprachlos. Sein Verstand biss sich an einem einzigen Satz fest:«Laura Lou hat einen Brief bekommen», und ihm wurde ganz übel vor dunklen Befürchtungen.«Was redest du da für Unsinn? Was für einen Brief? Ich hab nichts zu verbergen und nichts zu erklären. Wenn du den Brief dabeihast, zeig ihn mir, und wenn ich den Schnüffler finde, der ihn geschrieben hat, brech ich ihm das Genick.»
    Mrs Tracy lachte.«Das dürfte schwierig werden, schätz ich. Aber der Brief ist nicht hier, ich hab ihn zu Hause weggesperrt. Er hat meinem armen Kind schon genug Kummer gemacht …»
    « Wer hat ihn denn geschickt?», unterbrach Vance sie.
    « Ist nicht unterschrieben.»
    « Das habe ich mir gedacht. Das sind solche Briefe nie. Und du kommst her und spionierst mir nach aufgrund eines Papierfetzens mit weiß Gott welcher anonymen Verleumdung?»Er nahm seinen Hut, und dabei fiel sein Blick auf die Schlüssel, die Halo beim Abschied neben ihn gelegt hatte. Jetzt nützten sie ihm nichts mehr. Er würde sie nie mehr brauchen, ohne Halo nie mehr hierherkommen. Er würde sie zusammen mit dem Handschuh noch heute Abend nach Eaglewood bringen.
    Er steckte sie in die Tasche und wandte sich wieder an seine Schwiegermutter.«Ich komme hierher, um zu arbeiten, nicht um mich mit Frauen zu treffen.»Das hörte sich überzeugend an und war in gewisser Weise auch wahr, doch der Klang war ihm gleichgültig. Er räusperte sich und begann wieder:«Wenn du

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