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Ein altes Haus am Hudson River

Ein altes Haus am Hudson River

Titel: Ein altes Haus am Hudson River Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edith Wharton
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dort gehören Sie hin.»
    Er regte sich nicht, um den Schock ihrer sanften Berührung, die ihn durchströmte wie das eigene Blut, nicht zu vertreiben. Innerlich jedoch stöhnte er:«Es ist immer dasselbe mit dir, du Idiot. Du siehst immer nur eins und bist wie rasend dahinter her, und neun von zehn Mal jagst du nicht hinter dem Richtigen her, sondern hinter etwas, was dein Gehirn dir vorgaukelt.»
    Mrs Tarrant fuhr unverändert ruhig fort:«Vance, hören Sie mir zu? Sie müssen zuhören. Natürlich müssen Sie hier weiterarbeiten. Sie dürfen nicht gestört werden – und Sie sollen diese Atmosphäre um sich haben; ich werde mich darum kümmern, werde dafür sorgen.»Er antwortete immer noch nicht, ließ weder die Hände sinken, noch wandte er den Kopf, als er auf dem Tisch neben sich ein leises Klicken hörte.«Hier, Vance, ich lasse Ihnen die Schlüssel da. Vergessen Sie sie nicht. Sie können sie mir in New York zurückgeben, wenn Sie mir das fertige Buch bringen.»
    Er bewegte sich nicht. Auch sie schwieg einen Augenblick, dann zog sie ihre Hand zurück.«Kommen Sie – wir müssen Lebewohl sagen, Vance.»
    Er ließ die Hände sinken, lehnte sich zurück und blickte zu ihr hoch.«Ich habe bisher nie über das Ende nachgedacht», murmelte er.
    « Aber es ist doch nicht zu Ende, warum auch? Sie müssen jetzt bei Ihrer Arbeit bleiben und sie vollenden, und wenn Sie fertig sind, gehen Sie wieder regelmäßig in die Redaktion – und ich werde Sie hoffentlich oft sehen …»
    « Nicht so wie hier.»
    « So war es gut, nicht wahr? Aber wenn Ihr Buch fertig ist, wird es noch viel besser, wird es so gut wie nie zuvor …»
    « Dieses Buch ist mir völlig schnuppe.»
    Sie blickte auf ihn herab, und ein leises Lächeln stahl sich auf ihre Lippen.«Das sollte es aber nicht sein, wenn Sie meinen, dass wir es zusammen gemacht haben.»
    Wieder dieses Gespöttel! Sie war also entschlossen, ihm diesen Ton aufzuzwingen. Sie hänselte ihn, machte sich über ihn lustig, ließ sich aus der Höhe ihrer Überlegenheit an Alter, Erfahrung, Bildung und gesellschaftlicher Stellung zu ihm herab, und er, der grüne Junge, hatte dagesessen, alle Unterschiede vergessen und sich eingebildet, weil er plötzlich entdeckt hatte, was sie für ihn war, bedeute er ihr ebenso viel! Dieser Schlag, der seiner Eitelkeit versetzt wurde, tat weh, und ein wütender Stolz bezwang jeden anderen Schmerz. Wenn sie ihn für einen tölpelhaften Jungen hielt, den man bemitleiden und über den man witzeln durfte, dann zum Teufel mit Träumen und ehrgeizigen Plänen und allem, wofür er sich gehalten hatte!
    « Ich versteh nichts von Konversation», brummte er.«Ich soll bei meiner Schreiberei bleiben – ist es das, was Sie meinen?»
    Wieder setzte sie sich, diesmal neben ihn, und während er die Augen vor seinem grellen Ungeschick verschloss, hörte er auf einer anderen Bewusstseinsebene, sozusagen mit anderen Ohren, dass sie vernünftig, klug und eindringlich mit ihm über seine Arbeit sprach, über die Gelegenheiten, die vor ihm lägen, was er mit gutem Recht erhoffen dürfe und worauf sich seine Anstrengungen und sein Ehrgeiz richten sollten. Alles mit der liebevollen Stimme einer«älteren Freundin», einer so kühlen, maßvollen Stimme, dass jede Silbe mit einem leisen Zischen auf die glühend heiße Oberfläche seiner Demütigung fiel.
    « Sie wissen, dass ich immer an Sie geglaubt habe, Vance. Freilich, das will nichts heißen … ich bin niemand. Aber auch mein Mann glaubt an Sie … hat seit jeher an Sie geglaubt, noch bevor ich etwas von Ihnen gelesen hatte. Er hat seinen Glauben unter Beweis gestellt, nicht wahr? Und Frenside, dem nie etwas gefällt, der nie zufrieden ist … wenn die beiden sehen, was Sie jetzt geschaffen haben, merken sie, dass sie recht gehabt haben, das weiß ich … Vance, Künstler haben immer solche Anfälle von Mutlosigkeit … Oft gerade dann, wenn sie ihr Bestes gegeben haben; es ist die Reaktion auf eine von Erfolg gekrönte Anstrengung. Und das ist bisher Ihr Bestes, bei Weitem Ihr Bestes! Bestimmt folgt eines Tages etwas noch Größeres und Besseres; aber bis dahin, mein lieber Junge, müssen Sie um Ihres Seelenheils willen an das hier glauben, an sich glauben …»
    Und wenn es sein Seelenheil gegolten hätte: Er hätte jetzt nicht aufblicken oder seine Haltung ändern können. Ihr freundliches Mitleid drückte ihn zu Boden, und ihre Verständnislosigkeit hielt ihn dort fest.«Wenn sie nur gehen würde», dachte er,«

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