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Ein altes Haus am Hudson River

Ein altes Haus am Hudson River

Titel: Ein altes Haus am Hudson River Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edith Wharton
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wenn es nur schon vorbei wäre …»
    Die Stille wurde vom Quietschen des zurückgeschobenen Stuhls unterbrochen. Er spürte einen Lufthauch, als sie aufstand, und hörte ihren Schritt im unergründlichen Schweigen des alten Hauses verhallen. Eine Tür schloss sich. Sie war gegangen, es war vorbei …

31
    Vance blieb auf seinem Stuhl sitzen. Da hatte er sich eingebildet, er hätte gelitten an dem Tag, als er seinen Großvater unten am Wasser mit Floss Delaney sah – armer Einfaltspinsel! Das hatte nur seine groben Sinne gekränkt. Er hatte es verwunden, indem er es niedergeschrieben und einem Redakteur verkauft hatte. Aber jetzt gab es keine Ader in seinem Körper, keine Zelle in seinem Gehirn, keinen Traum, keine Vision seiner Seele, die nicht verletzt und gebrochen gewesen wären … Diese Frau, die in ihm das Licht entfacht hatte, in dessen Schein er jetzt lebte, hatte dagesessen und ihm selbstgefällig erzählt, sie glaube an seine Arbeit und auch ihr Mann und der alte Frenside glaubten daran … und hatte gemeint, ihn damit zu trösten!
    Aber dachte sie wirklich so? Oder waren ihre Worte nur eine schützende Verkleidung, das pflichtbewusste Bemühen, Gefühle zu unterdrücken, die den seinen entsprachen? Er hatte den unbestimmten Eindruck, dass sie sehr pflichtbewusst war, voller Skrupel, die er vielleicht nicht ganz verstand. Denn wenn ihr nicht so viel daran lag wie ihm, warum hatte sie dann alle diese Stunden geopfert und ihm geholfen? Wenn es nur zum Wohle der«Neuen Stunde»war, dann war sie tatsächlich die ideale Ehefrau für einen Redakteur! Doch nein, diese Nachmittage waren für sie ebenso erfüllt gewesen wie für ihn. Wie lautete der Satz aus Keats’ Briefen, den sie ihm gezeigt hatte? Man müsse« jede Spalte mit Gold füllen» 73 … Genau das hatten sie in ihren gemeinsamen Stunden getan, beide.
    Während er grübelnd dasaß, hörte er plötzlich, wie sich eine Tür öffnete, dann, nach einer kurzen Pause, Schritte in den leeren Räumen, gedämpft von den Teppichen, wie verschleiert vom verstohlenen Zwielicht. Es waren ihre, ganz bestimmt ihre – wer sonst hätte hier etwas zu suchen? Sie kam wieder, kehrte zurück, um ihm all das zu sagen, was in seinem Herzen brodelte … Er saß still und wagte nicht aufzublicken.
    Die Schritte kamen näher, erreichten die Schwelle, klickten auf dem Parkett der Bibliothek. Er fuhr hoch und sah Mrs Tracy. In dem schwachen Licht wirkte ihr Gesicht so verhärmt und unglücklich, dass er dachte, sie sei wieder krank geworden, und eilends auf sie zuging.
    « Was ist passiert?»
    « Passiert? Also doch – du triffst dich hier mit einer Frau!»Sie war an den Tisch getreten und hatte blitzschnell wie ein Raubvogel nach einem Handschuh gegriffen, der dort lag.«Das nennst du also literarische Arbeit?», triumphierte sie giftig.
    Vance stand schweigend da. Sein Kopf war immer noch so voll von leidenschaftlichen, herzzerreißenden Gedanken, dass er nicht erfasste, was sie sagte. Wovon redete sie, was versuchte sie ihm verständlich zu machen, weswegen war sie gekommen? Erneut erblickte er in ihrem Gesicht, knapp unter der Oberfläche, den Widerschein der Feindseligkeit, derer er sich bewusst war, seit er Upton zu dem Baseballspiel begleitet hatte.
    « Hast du nichts zu sagen? Nein, offenbar nicht!», höhnte Mrs Tracy.
    « Ich weiß nicht, was du von mir hören willst. Ich weiß nicht, wovon du redest. Dieser Handschuh gehört Mrs Tarrant, sie ist vor ein paar Minuten gegangen.»
    Mrs Tracys fahles Gesicht wurde noch fahler. Er merkte, dass sie auf diese Antwort nicht gefasst war und ihm nicht recht glauben wollte.«Mrs Tarrant – was hat sie hier gemacht?»
    « Mich besucht.»
    « Und was tust du hier?»
    « Schreiben, wie du siehst.»
    Mrs Tracy schwieg einen Augenblick, den Blick ungläubig auf den Papierstapel vor ihr geheftet.«Ich möcht wissen, wer dich hier reinlässt», sagte sie schließlich.
    « Na, heute natürlich Mrs Tarrant.»
    « Heute! Mag sein. Aber ich red nicht nur von heute. Das ist ja nicht der einzige Tag, den du hier verbracht hast.»
    Vance zögerte. Er hatte gehofft, seine Schwiegermutter zum Schweigen zu bringen und ihren Verdacht zu zerstreuen, indem er Mrs Tarrant erwähnte – eine der wenigen Personen, die das unbestrittene Recht hatten, in diesem Haus ein und aus zu gehen. Aber es war etwas ganz anderes, wurde ihm mit einem Mal klar, wenn Mrs Tracy Halos Namen mit den häufigen und heimlichen Besuchen in Verbindung brachte, derer sie

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