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Ein altes Haus am Hudson River

Ein altes Haus am Hudson River

Titel: Ein altes Haus am Hudson River Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edith Wharton
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Lüftchen durch die oberen Äste. Vielleicht half ihm dieser Spaziergang, das Durcheinander in seinem Kopf zu klären; jedenfalls kam es nicht infrage, Mrs Tracy nach Hause zu folgen. Zuerst musste er allein sein, im Freien.
    Das Tor von Eaglewood war nicht verschlossen, und er ging die Auffahrt entlang zum Haus. Niedrig und breit lag es unter geheimnisvollen Baumschatten, und er dachte an den Tag, an dem er schlafend in dem defekten Auto ertappt und von dem empörten Jacob als bestürzter Sünder hierhergebracht worden war. Jeder Schritt war reich an Erinnerungen, obwohl die Erlebnisse damals nicht unbedingt mit einem Glücksgefühl verbunden gewesen, jetzt aber davon durchtränkt waren. Er erinnerte sich, wie beschämt und wütend er gewesen war, als Jacob ihn in die Halle geschoben hatte, zwischen all diese unbekannten Leute …
    Durch das Laubdach blinzelten ein paar Lichter aus den oberen Fenstern, doch das Erdgeschoss war dunkel, die Fensterläden nicht geschlossen. Vielleicht war noch niemand zu Hause. Die Stille und die Nacht schienen sich unbemerkt in die leeren Zimmer zu stehlen, und Vance hätte gern eines der Fenster geöffnet und wäre auch hineingestiegen … Doch während er ein wenig abseits auf dem Rasen stand, erschien in einem der Salonfenster ein Licht, und er hörte, wie jemand ein paar Akkorde auf dem Klavier anschlug, wie Stimmen anschwollen und wieder leiser wurden. Ohne nachzusehen, wer sich in dem Zimmer befand, lief er ins Dunkel der Auffahrt zurück und ließ die Schlüssel in den Briefkasten neben der Haustür fallen. Sie waren allesamt Fremde für ihn, diese Menschen hier oben, er gehörte nicht hierher, in das Licht und die Musik und die Sorglosigkeit, genauso wenig wie in das trostlose Haus der Tracys unten. Als er fortging, trug er schwer an dem Gefühl gnadenloser Einsamkeit, wie es junge Herzen manchmal bedrückt. Ihm war, als sei er von allen erdenklichen herrlichen Welten ausgeschlossen.
    Wo gehörte er dann hin? Nun, zu sich selbst! Der Gedanke durchfuhr ihn wie ein Blitz. Wozu brauchte er die Welten anderer Menschen, wenn er selbst ganze Universen erschaffen konnte? Was er brauchte, waren Unabhängigkeit, Freiheit, Einsamkeit, und das kostete weniger als Häuser und Möbel und viel weniger als menschliche Beziehungen. Mrs Tracys Worte fielen ihm wieder ein:«Stell dir vor, wie es wäre, frei zu sein.»
    Wieder draußen auf der Straße, wanderte er weiter bergan. Mit ihm wanderte, durch perlmutterfarbene Wolken, der Spätsommermond und beleuchtete launenhaft den Weg, so wie Halos Scheinwerfer an jenem Morgen vor Tagesanbruch, als sie zum Thundertop hinauffuhren. Damals war er frei gewesen, die Welt hatte in all ihrer zu erobernden Herrlichkeit vor ihm gelegen. Ein paar Monate Mutlosigkeit und der unerwartete Anblick eines jungen Gesichts hatten alles zerstört und ihn zu dem armseligen Etwas gemacht, das er jetzt war. Er ging und ging, ohne auf den Weg zu achten, getrieben von dem Bedürfnis, allein zu sein und fern von der Wirklichkeit, zu der er so bald zurückkehren musste. Endlich warf er sich auf einem Felsvorsprung nieder; von dort erblickte er zum ersten Mal eine Schleife des mondversilberten Hudson, in weiter Ferne und umschlungen vom mitternächtlichen Wald.
    « Stell dir vor, wie es wäre, frei zu sein.»Das boten sie ihm an, die Rückkehr in diese andere Welt, die Welt, auf die er vom Thundertop herabgeblickt hatte.
    Vance versuchte, Wut und Verwirrung aus seinem Kopf zu verbannen und seine Situation leidenschaftslos zu betrachten. Der Fall Tracy war im Grunde klar und eindeutig. Wahrscheinlich war Mrs Tracy von Anfang an darauf erpicht gewesen, ihn loszuwerden, um Laura Lou das zu verschaffen, was sie«ihre Chance»nannte. Aber sie war keine Frau, die den ersten Schritt tat, und hätte am Ende bestimmt resigniert, wenn sie nicht ein beharrlicher Einflüsterer nach vorn geschoben hätte. Upton vielleicht? Mit einem Achselzucken tat Vance den Gedanken an Upton ab … Hayes natürlich! Das Blut stieg ihm in den Kopf. Er hörte förmlich, wie Bunty Hayes die Szene mit Mrs Tracy einübte. Höchstwahrscheinlich hatten sie den anonymen Brief miteinander ausgeheckt. Und nun wollten sie ihn hinauswerfen wie einen Pensionsgast, dessen Zimmer gebraucht wurde … so etwa sahen sie die Sache …«Nichts einfacher als das … flutscht wie geschmiert», würde Hayes sagen …
    Nun ja, warum nicht?
    Dort lag er, auf dem Felsvorsprung ausgestreckt, und blickte hinunter in die

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