Ein altes Haus am Hudson River
vier Globusviertel zu bemalen, doch über Afrika war ihm langweilig geworden, und an der Stelle des letzten Viertels befand sich nun ein kubistisches Rätsel, das aussah wie ein Eisenbahnknotenpunkt nach der Kollision zweier Ausflüglerzüge und den kryptischen Titel«Tee mit Toast für einen» 75 trug.
An einer Wand stand ein großer schwarzer Ofen, und drum herum scharte sich an diesem Dezembernachmittag eine Gruppe junger Männer, die ebenso bewusst schäbig aussahen wie der Raum. Die einzige Ausnahme bildete Eric Rauch, der mit seiner adretten Kleidung gegen die Einflüsse der Boheme gefeit schien und inmitten dünkelhafter Pfeifenraucher unerschrocken an seiner Zigarette zog. Er und alle anderen wussten, dass er hier nur geduldet war, weil er von der«Neuen Stunde»kam und eines Tages vielleicht von Nutzen sein konnte, und weil Vance Weston, der literarische Held des Tages, – leider! – für die« Neue Stunde»arbeitete. Eric Rauch wurde trotz seines schmalen Bändchens mit esoterischen Gedichten von den Leuten um Rebeccas Ofen, die für die aktuellsten literarischen Zeitschriften und modernsten Experimentierbühnen schrieben, als Spießbürger betrachtet. Aber es gehörte einfach dazu, dass Rebecca den jeweils neuesten erfolgreichen Romancier porträtierte, und da der arme Weston Eigentum der«Neuen Stunde»war, mussten sie Rauch als Bärenführer in Kauf nehmen.
Am Ofen sprachen sie über«Globus», Gratz Blemers jüngsten Roman, und Vance, aus seinem Traum von Pondicherry wach gerüttelt, hörte gleichgültig zu. Anfangs hatten ihn diese literarischen Symposien interessiert und inspiriert; er konnte gar nicht genug bekommen von der rätselhaften Weisheit, die diese jungen Männer absonderten. Doch nach zehn oder fünfzehn Sitzungen für Rebecca, um deren Ofen sie sich zu versammeln pflegten, hatte er alle Weisheiten schon einmal vernommen und war immer noch hungrig.
Er wusste schon im Voraus, was sie über«Globus»sagen würden, und war verwirrt und deprimiert, weil er nicht verstand, wie sie dermaßen für das Buch schwärmen konnten, wo sie doch auch für«Anstatt»schwärmten. Und an Letzterem konnte es keinen Zweifel geben.«Anstatt»hatte im Kreis des« Cocoanut Tree»ebenso eingeschlagen wie bei den sogenannten Salonkritikern. Es war eines jener auserwählten Bücher, die es irgendwie fertigbringen, sich durch das enge Klüngel- und Kategoriedenken hindurchzuschlängeln, und die ebenso in den Händen des Pendlers landen, der ins Büro fährt, wie in denen der ungekämmten jungen Männer in knallbunten Pullovern, die an Rebeccas Ofen im leeren Raum theoretisierten.
Rebecca Stram, bis zum Hals in schmutziges Leinen gehüllt, trat zurück, verdrehte die Augen, klopfte leicht auf den Ton und seufzte:«Wenn du dich bloß in mich verlieben würdest, dann könnte ich aus dem hier ganz was Großes machen …»
Vance hörte sie, mimte aber den Geistesabwesenden. Liebe – verlieben! Gab es auch nur ein Wort in seiner Sprache, das ihm so verhasst war oder so sinnlos erschien wie dieses? Seine Liebe, dachte er, war wie seine Kunst – sie unterschied sich von der gängigen Bedeutung, und wenn das Wort in seiner Gegenwart ausgesprochen wurde, fiel in seiner Seele eine Tür zu und schloss ihn mit seinen bang tastenden Leidenschaften ein. Liebe! Liebte er Laura Lou – hatte er sie jemals geliebt? Welchen anderen Namen sollte er dem aufwallenden Gefühl geben, das ihn in ihre Arme getrieben hatte, als sie an jenem Tag in Dixons Fuhrwerk vorgefahren kam? Es war mehr als ein Jahr her; und er verstand nicht, warum die Leidenschaft, die ihn an jenem Tag bis in die Tiefen seines Daseins erschüttert hatte, nicht ihrer beider Leben umgeformt und erneuert hatte. Der bloße Gedanke, dass sie ihn verließ – und verließ, weil er sie unwissentlich verletzt, vernachlässigt hatte –, riss zu seinen Füßen einen Abgrund auf. So sähe ein Leben ohne sie aus: wie ein finsteres Loch, in das er kopfüber hineinstürzte, wie bei einem Flugzeugabsturz in der Nacht … Es hatte nur fünf Minuten gedauert, Mrs Tracys Plan zunichtezumachen, Laura Lou zurückzuerobern und all die Gespenster, die Ausgeburten der Einsamkeit und Eifersucht, durch ein Lachen zu verscheuchen – das arme Kind, sie war tatsächlich eifersüchtig! Und er war (vor einem Jahr) jung genug gewesen, um sich einzubilden, dass man das Leben in fünf Minuten ummodeln könne,«es nach des Menschen Wünschen drehn», wie dieser Fitzgerald sagte. 76 Lieber
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