Ein altes Haus am Hudson River
einmal, dass Sie hin- und hergerissen sind zwischen den Forderungen Ihres Verlags, der ein zweites ‹Anstatt› will, und Ihren eigenen Eingebungen, die Ihnen etwas ganz anderes raten – raus, höher, weg. Und wenn Sie dann noch all die Kritiker hinzunehmen (als solche bezeichnen sie sich wohl), die von einem Tag auf den anderen die eigenen Maßstäbe über den Haufen werfen und neue errichten, passend zu ihren kurzsichtigen Bedürfnissen – mein Gott, ja, es ist ein harter, alter Beruf, der sich einen Weg durch diese grölende Menge erzwingen muss, und mich wundert nicht, dass ein junger Mann wie Sie davon wie betäubt ist.»
Vance lauschte aufmerksam.«Ich bin nicht betäubt, nein, eigentlich nicht. In meiner Umgebung, außerhalb von mir, nehme ich freilich nichts wahr. Aber in meinem Innern brennt ein stetiges Licht …»
« Ja, das glaube ich», nickte Frenside. Er zog an seiner Pfeife, legte ein Bein über das andere und sagte schließlich:«Ich hätte eine Goldgrube darum gegeben, wenn ich in Ihrem Alter dieses Licht gehabt hätte.»
Vance schoss das Blut in den Kopf.«Oh, aber Sie …»
« Nein, lassen wir das. Ich schweife ab. Die Frage lautet doch: Was sollten Sie als Nächstes tun?»
« Ja, so ist es.»
« Und die naheliegende Antwort ‹Folgen Sie Ihrer Eingebung› ist unbrauchbar, wenn im Innern hundert Eingebungen und von außen diese lärmenden, widersprüchlichen Meinungen an Ihnen zerren, nicht wahr?», fuhr Frenside in seinen Überlegungen fort.«Ihre Schwierigkeit ist: Sie leiden unter einem Mangel an Selbstvertrauen, der von Erfolg hervorgerufen wird. Nichts ist demoralisierender als Erfolg. Eine Bauchbinde um den Schutzumschlag kann die Seele eines Mannes nachhaltiger beschädigen als die Rezension im ‹Quarterly›, die Keats umgebracht hat. 83 Und für junge Menschen wie Sie ist die Welt nach dem ersten Erfolg eine einzige riesige Bauchbinde. Sie müssen sich Baumwolle in die Ohren stopfen und weiterziehen …»
« Weiter, sagen Sie? Aber wohin?»
« Der Natur ist ein leerer Raum zuwider, und um ihn zu füllen, agiert sie verschwenderisch, unbändig verschwenderisch. Theoretisch würde mein Ratschlag lauten: Folgen Sie ihrem Beispiel. Seien Sie so verschwenderisch wie die Natur. So haben es alle ihre Lieblinge gehalten. Verfolgen Sie erst den einen Impuls und dann den anderen, versuchen Sie sich an diesem und jenem, lassen Sie Ihre Meisterwerke dutzendweise sterben, ohne dass sie das Licht der Welt erblickt haben … Doch welchen Sinn hat solches Gerede heutzutage? Außerdem müssen Sie Ihren Lebensunterhalt verdienen, nicht wahr? Nun, das ist nicht das Schlechteste. Sie werden nicht das Risiko eingehen wollen, sich im Wald der Träume zu verirren. Das kommt nämlich vor. Und wenn Sie erst einmal unter dem tödlichen Baum der Wahlmöglichkeiten eingeschlafen sind, wachen Sie vielleicht nie mehr auf. Deshalb …»Er schwieg, entzündete erneut seine Pfeife und blinzelte Vance nachdenklich an.
« Meines Erachtens gibt es folgendes Problem: Was Sie gerade geschrieben haben (ja, ich habe es gelesen, Halo hat es mir aufgedrängt), das ist eine hübsche Sache, wirklich ausgezeichnet, und heutzutage etwas Überraschendes, Ungewöhnliches, wie sein Erfolg beweist. Aber es führt nirgendwo hin. Eine Beschwörung, etwas Strahlendes, das Sie durch Zauberei herbeigeführt haben, nicht wahr? Greifen Sie jetzt lieber hinein ins volle Menschenleben, denken Sie an Goethe: ‹Und wo ihr’s packt, da ist’s interessant.› 84 Das stimmt, aber nur in dem Maße, wie auch Sie zu interessieren vermögen. Das ist der Haken daran. Der Künstler muss seine Sprösslinge mit dem eigenen Herzblut füttern. Und das müssen Sie ständig anreichern, Tag und Nacht. Wie? … Ja, mein lieber Junge, das ist die Frage! Worauf steht die Schildkröte …?» 85
Vance saß schweigend da. Vielleicht hatte sein Ratgeber recht. Vielleicht war das einzig wirklich fruchtbare Betätigungsfeld für den Künstler die eigene Zeit, die eigene Stadt oder das eigene Land, ein Feld, in das er mit beiden Händen eintauchen und von dem er seine Sujets mitsamt den Wurzeln ernten konnte.« Anstatt»hatte seine Leser durch seine Andersartigkeit betört, weil sie, ohne es zu wissen, des Wirrwarrs und der Brutalität müde waren, aber bald würde die Faszination nachlassen, weil seine Geschichte, wie Frenside sagte, nur eine«Beschwörung»war, keine Wirklichkeit. Er hatte seinem Werk sehr wenig von dem gegeben, was
Weitere Kostenlose Bücher