Ein altes Haus am Hudson River
würde, die Leute in Gesellschaftskleidung, um diese Zeit noch herumtrödelten und bei Tee und Cocktails saßen, so wie er und Mrs Pulsifer in jenem runden, getäfelten Zimmer mit den Blumen und den taubengrauen Sesseln, in das er nie mehr eingelassen worden war … In dieser Welt war das Dinner noch zwei, drei Stunden entfernt, mit der Aussicht auf eine glanzvolle Nacht …
Im Postfach fand Vance ein paar Briefe und steckte sie in die Tasche, ohne einen Blick darauf zu werfen. Er konnte sich schon denken, was es war: Angebote von Redakteuren und Verlegern, die ihm, angezogen durch den Erfolg von«Anstatt», Angebote machten, die er, so knapp er auch bei Kasse war, ablehnen musste. Weder Tarrant noch der Verlag, den Tarrant ihm aufgezwungen hatte, würden ihn ziehen lassen oder die vertraglich vereinbarten Honorare auch nur um einen Dollar aufstocken. Er durchschaute nicht, was für sie«drin»war; seine Gleichgültigkeit gegenüber der eigenen Arbeit, wenn sie einmal fertig war und er sich etwas anderem zuwandte, verleitete ihn, das Prestige zu unterschätzen, das«Anstatt»der«Neuen Stunde»verschafft hatte, und Tarrants natürlichen Wunsch, das Beste aus dieser Chance zu machen, führte er auf verlegerische Sturheit zurück. Noch zwei Jahre lang hatte jede Zeile, die Vance schrieb, ihren im Voraus festgelegten Preis und würde der«Neuen Stunde»und anschließend Dreck und Saltzer gehören. Doch schreiben musste er, pausenlos, sonst verhungerten er und Laura Lou. Für sich selbst hätte er den Hunger vorgezogen, aber Laura Lou musste er wenigstens mit jener Nahrung versorgen, die Mrs Hubbards Tafel bot. Mrs Hubbard, die Hauswirtin (von den Pensionsgästen aus naheliegenden Gründen«Mutter»genannt) nahm es mit dem Leumund und dem Vorleben ihrer Gäste sehr genau, und diese sahen ein, dass Mrs Hubbard angesichts ihres hohen gesellschaftlichen Anspruchs, wurzelnd in der Tatsache, dass sie die Witwe eines Obersten aus dem Süden war, nicht auch noch bei den Mahlzeiten wählerisch sein konnte, die sie auf den Tisch brachte.«Wenn ich schon einen Makel übersehen muss, dann lieber bei den Hammelkoteletts als bei der moral der Damen und Herren, die ich in meinem Haus bewirte, dem Haus des verstorbenen Oberst Hubbard», sagte Mrs Hubbard, in dem festen Glauben, das Wort moral , das sie sehr oft benutzte, sei der französische Ausdruck für Moral. 89 Der verstorbene Oberst war Vizekonsul in einem französischen Kolonialhafen gewesen, und Mrs Hubbard bildete sich auf ihr Französisch einiges ein.
Vance sprang die Treppe hoch und öffnete die Tür zu dem Zimmer, in das er, Laura Lou und ihrer beider bescheidene Habe gestopft waren, inklusive der heiligen Taube.«Hallo», überfiel er sie fröhlich,«tut mir leid, dass ich zu spät komme, aber ich habe an einer grandiosen neuen Idee für einen Roman gefeilt.»
Während er sprach, fiel ihm ein, wie oft er in letzter Zeit seine Unpünktlichkeit damit begründet und welch schwachen Funken von Interesse das in ihr entzündet hatte. Glaubte sie ihm überhaupt? Höchstwahrscheinlich nicht. Sie ärgerte sich immer mehr über die Stunden, die er Rebecca Stram widmete, wenn sie ihn nicht sogar verdächtigte, die Bildhauerin als Schutzschild zu benutzen und seine Zeit heimlich mit«dieser Frau»zu verbringen, wie sie Halo Tarrant immer noch nannte und vielleicht für immer nennen würde. Aus irgendeinem Grund merkte er auf den ersten Blick, dass sie einen Groll hegte, schon deshalb, weil sie auf seine Bemerkung nicht antwortete. Es war immer ein Zeichen von Verärgerung, wenn Laura Lou ignorierte, was er sagte, und auf seine Gesprächsanläufe mit einer völlig unpassenden Antwort reagierte.
« Es hat schon lange zum Dinner geläutet», sagte sie und erhob sich lustlos aus ihrem Schaukelstuhl.
« Das habe ich schon unter der Haustür gerochen», erwiderte er, und sein Eifer fiel angesichts ihrer Gleichgültigkeit in sich zusammen.«Ich will mir nur rasch die Hände waschen», und er warf einen Stapel Wäsche aus dem Becken auf den Boden.
« Nicht, Vance – das ist saubere Wäsche, die ist gerade gekommen», rief sie und bückte sich, um die verstreuten Kleidungsstücke einzusammeln.«Der Boden ist so dreckig …»
« Dafür gibt es schließlich einen Schrank!», erwiderte er, aufgebracht wie so oft durch ihre zunehmende Trägheit. Statt sich die Mühe zu machen, die Kleider dorthin zu räumen, wo sie hingehörten, ließ sie sie in dem vollgestopften, unordentlichen Zimmer
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