Ein altes Haus am Hudson River
Gegend? »
« Vor der Revolution hat ihnen fast der ganze Ort gehört. Jetzt sind nur noch diese beiden Häuser übrig.»
« Dann gab es wohl einen großen Immobilienboom, und sie haben alles abgestoßen?»
Upton kicherte im Dunkeln skeptisch.«Ich glaube nicht, dass es bei den Lorburns jemals so was wie einen Boom gegeben hat. Sie sind nur immer ärmer geworden und ausgestorben.»
Vance war ehrlich erstaunt.«Warum haben sie denn nicht einfach einen Boom ausgelöst und anderen den Krempel aufgehalst?», murmelte er. Dann fielen ihm Harrison Delaneys Unfähigkeit auf diesem Gebiet ein und die sarkastischen Bemerkungen seiner Großmutter über abgewirtschaftete alte Familien. Er war froh, dass sein eigener reger Kreislauf nicht von aristokratischem Blut verstopft wurde und in einem zielstrebigen Ort wie Euphoria keine alten Familien lebten.
Upton stand auf und reckte seine dünnen Arme.«So, ich verzieh mich mal ins Bett. In diesem Gewächshaus hatte es heute Nachmittag an die hundertfünfzig Grad 17 .»Er tappte zwischen ihnen hindurch Richtung Diele und knallte die Fliegentür hinter sich zu, eine instinktive Geste zur Abwehr der Mücken. Von seiner Hängematte aus konnte Vance sehen, wie Upton die Kette vor die äußere Haustür legte und sie verriegelte.
Plötzlich hörte er ganz nah in der Dunkelheit Laura Lou sagen:«Du hast den alten Flieder den ganzen Tag in deinem Knopfloch getragen. Er riecht schon ganz verwelkt.»Sie beugte sich über ihn und zupfte ihm die Dolde aus der Jacke. Instinktiv hob er die Hand, um sie daran zu hindern; sein Gedicht hatte die verdorrte Blüte geheiligt.«Nein, nicht!»Aber statt des Flieders bekam seine Hand ihre weichen Finger zu fassen. Sie zitterten, erschrocken und doch flehentlich, und die warme Berührung durchfuhr ihn verführerisch und herausfordernd, aber Laura Lou war nur ein kleines Mädchen, unbeholfen und ahnungslos, und er wohnte unter dem Dach ihrer Mutter. Im Übrigen: Wenn es nicht so heiß und dunkel und er nicht in einer so sinnlich-lässigen Stimmung gewesen wäre, hätte ihn die Berührung ihrer weichen Haut wohl kaum erregt. Für seine unerfahrenen Sinne besaß dieser Backfisch keinen Reiz.
« Halt – gib sie mir wieder! Hör zu, Laura Lou!»Aber sie entzog sich ihm mit einem Sprung und unter irrem Gekicher, und er ließ ihre Hand und auch den Flieder gleichgültig fahren.
Upton kam erneut auf die Veranda getrampelt.«Gehst du auch ins Bett?», fragte er. Vance bejahte und hangelte sich aus der Hängematte.«Gut. Dann mach ich das Licht aus. Komm, Laura Lou.»Zu Vance sagte er:«Mutter hat dir eine Kerze auf den Treppenabsatz gestellt», dann griff er nach der Hängelampe, zog sie herunter, und der Flur füllte sich mit dem Gestank des erloschenen Dochtes. Laura Lou war schon vor ihnen hinaufgeschlüpft, ins Zimmer ihrer Mutter.
ZWEITER TEIL
6
« Das ist es», sagte Upton.
Vance hatte im Scherz angeboten, Upton nach The Willows zu begleiten und ihm zu helfen, Miss Lorburns Zimmer abzustauben, damit Laura Lou nicht auf ihr Kino verzichten musste. Aber Laura Lou wurde puterrot und antwortete erschrocken flüsternd, das stimme nicht, sie wolle mitgehen nach The Willows, sie gehe immer hin, wenn ihre Mutter nicht könne – und so mietete sich Vance in einer nahen Werkstatt ein Fahrrad, und die drei brachen auf.
Vor einem baumverhangenen, mit einem Vorhängeschloss versperrten Tor blieb Upton stehen. Ein dunkelgrüner Weg führte darauf zu, so zerfurcht und grasüberwachsen, dass sie von ihren Rädern sprangen und zu Fuß weitergingen. Upton zog einen Schlüssel heraus, sperrte das Tor auf und lief voraus, gefolgt von Vance und Laura Lou. Das dunkelbraun gestrichene Haus stand am Ende einer kurzen, grasbewachsenen Auffahrt und verschwand fast hinter dem goldgrünen Laubschleier zweier alter Trauerweiden, sodass Vance immer nur einen kurzen Blick erhaschte, mal auf ein steiles Dach, mal auf einen vorspringenden Balkon oder ein ehrgeiziges Türmchen. Weil die Fassade immer nur flüchtig und verwackelt zu sehen war, als sei sie so beweglich wie die wehenden Bäume, wirkte sie riesenhaft, traumumwoben und geheimnisvoll. Das Haus war umgeben von ungemähten grünen Hängen und großen, ungestutzten Flieder- und Jasminbüschen; den Blick dahinter verwehrten auf allen Seiten Bäume und immer noch mehr Bäume.«Ein altes Haus, so sieht ein altes Haus aus», dachte Vance.
Die drei gingen die Auffahrt hinauf; hohes Gras und Klee, die sich durch den Kies
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