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Ein altes Haus am Hudson River

Ein altes Haus am Hudson River

Titel: Ein altes Haus am Hudson River Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edith Wharton
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die leisen Geräusche des Waldes wie Vogelgezwitscher und Blättergeraschel das Geklingle eines unsichtbaren Baches, und wenig später stießen sie auf den Bach selbst, der über nasse Gesimse in eine Rinne aus Farn und Gräsern sprang und sie schließlich zu dem rasengesäumten Felsbecken führte, von dem Miss Spear ihm erzählt hatte.
    Dort packten sie den Korb aus, und Vance trug zwei Steine und ein paar Zweige herbei, aber sie fanden auf diesem moosigen, tröpfelnden Fleckchen keinen trockenen Brennstoff, und so mussten sie ihre Eier roh essen und den Speck ungebraten zwischen zwei Scheiben altbackenen Brotes verspeisen. Zum Glück war der Kaffee siedend heiß, und als Vance seine Tasse geleert hatte, löste sich seine Zunge, und es sprudelte alles aus ihm heraus, was ihm seit seiner ersten Begegnung mit Miss Spear in The Willows durch den Kopf gegangen war und aus ihm herauswollte. Er verlor fast den Faden, so rasch purzelte eine Idee nach der anderen hervor, so viele neue Gedankengänge stießen Miss Spears Antworten in den verborgenen Winkeln seines Kopfes an.
    Wenn er später auf dieses Abenteuer zurückblickte, wunderte er sich, dass er sich des Alters oder Geschlechts seiner Gefährtin kaum bewusst gewesen war, dass er die ernste Schönheit ihres Gesichts kaum wahrgenommen hatte, sondern sie nur als geheimnisvolle Mittlerin der neuen Eindrücke erlebte, die sich in seine Seele ergossen – als sei sie das Element, das alles zum Klingen brachte, oder ein von Sonnenaufgang und Wald geborenes Wesen.
    Dennoch sah er später nichts Ätherisches oder Unnahbares in ihr; in seiner Erinnerung wurde sie wieder zu einem dunkelhaarigen Mädchen mit nachdenklichen Augen und lebhaften Lippen, das sich zurücklehnte, den Hut beiseitewarf, die nackten Arme hinter dem Kopf verschränkte und ihm mit freundlichen Fragen zusetzte. Das Problem war, dass jede dieser Fragen, die sie offensichtlich als einfach und für ihn selbstverständlich empfand, neue Sichtweisen auf das Unbekannte eröffnete, so wie die Autoscheinwerfer beim Hinauffahren ständig neue Bilder ins Dunkel gemalt hatten. Die simpelsten Bemerkungen verrieten ihre Vertrautheit mit Dingen, von denen er keine Ahnung hatte: Anspielungen auf Menschen und Bücher, Verknüpfungen von Gedanken, Bildern und Metaphern, die seiner Phantasie einen elektrischen Schlag versetzten und in ihm den Wunsch weckten, zu verweilen und nachzufragen, bevor sie ihn zum nächsten Thema weitertrieb.
    Sie wollte zweifellos nur hilfreich und freundlich sein. Vielleicht ahnte sie, dass das Leben bei den Tracys ihm nicht viel Nahrung bot, und fragte sich, welche Richtung er wohl einschlug, wenn diese Zeit vorüber war, was sicher bald der Fall sein würde. Er gab zu, dass er den Vorschlag seiner Eltern, ihn zur Erholung zu seinen Verwandten zu schicken, nur angenommen hatte, weil er dadurch New York näher kam, und das war im Augenblick die Stadt, in die er am liebsten wollte. Als sie ihn fragte, warum, ob nur als bedeutende Sehenswürdigkeit oder mit einem bestimmten Ziel, antwortete er, spürte, wie ihm bei diesem Geständnis von Kopf bis Fuß heiß wurde, und konnte sich doch nicht zurückhalten: Ja, er wolle in New York leben und Schriftsteller werden.
    « Schriftsteller? Aha. Das ist ja interessant.»Miss Spear stützte sich auf ihren Ellbogen und griff nach einer Zigarette, während sie sein feuerrotes Gesicht betrachtete.«Erzähl mir mehr davon. Was möchtest du schreiben?»
    Er warf den Kopf zurück und erwiderte ihren Blick mit klopfendem Herzen.«Gedichte.»
    Ihre Miene hellte sich auf.«Oh, das ist ja herrlich! Du hast bestimmt schon viele geschrieben?»
    « Viel nicht. Nur ein paar.»Wie lahm diese einsilbigen Wörter klangen! Dabei raschelte es in seinem Gehirn von üppigen, ausladenden Worten, die zu sehr ineinander verstrickt waren, als dass er sie hätte entwirren können.
    Miss Spear lächelte und sagte:«Ist das hier nicht genau der richtige Ort für Gedichte? Sag mir ein paar auf.»
    Vance verstummte, ihm wurde angst und bang. Noch nie hatte ihn jemand gebeten, seine Verse vorzutragen. Seine Mundhöhle wurde trocken wie Pergament, und in seinem Kopf summte es. Dieses Mädchen befahl ihm hier an diesem magischen Ort, ihr etwas vorzutragen, was er geschrieben hatte! Jetzt, angesichts dieser grandiosen Gelegenheit, verließ ihn aller Mut.
    Er befeuchtete seine ausgedörrten Lippen, schloss in Gedanken die Augen, als rüste er sich, ins Nichts zu springen, und

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