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Ein altes Haus am Hudson River

Ein altes Haus am Hudson River

Titel: Ein altes Haus am Hudson River Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edith Wharton
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Augen harmonierte, wurde vor Überraschung und Verlegenheit fahl.
    « Ich – na ja, natürlich, Sir, wenn sie es sagt», stammelte er.
    « ‹Wenn sie es sagt›? Waren Sie dabei oder nicht? Wenn nicht, stellt sie sich nur zum hundertsten Mal schützend vor ihren Bruder, und Gott weiß, wo das Auto mittlerweile gelandet ist.»
    « Schick doch Jacob die Straße hoch», unterbrach ihn Héloïse ungeduldig. Sie hatte vorgehabt, die Sache mit leichter Hand abzutun, alle auszulachen, die Angelegenheit in eine gute Geschichte zu verwandeln, die man künftigen Gästen vorsetzen konnte – in Eaglewood verstand man sich darauf, gute Geschichten für gesellige Anlässe zu sammeln. Aber Lewis Tarrants Gesichtsausdruck und Ton hatten sie aus dem Gleichgewicht gebracht. Offenbar glaubte auch er, sie lüge, um ihren Bruder zu schützen, und als Gentleman wollte er sie ebenfalls schützen, doch war das Ganze keineswegs nach seinem Geschmack. («Er weiß doch, wie wir sind, warum kommt er dann immer noch?», dachte sie und hätte ihm die Frage beinahe laut gestellt.) Sie wandte sich mit einem für sie typischen jähen, rebellischen Ruck von beiden Männern ab.
    « Und jetzt, Vater, lass um Himmels willen nicht alle auf den Lunch warten. Ihr Interesse an dieser Sache ist rein höflicher Natur. Es ist ihnen völlig schnuppe, wer das Auto letzte Nacht hatte, und sie wissen, dass es nicht zum ersten Mal liegen geblieben ist, schon gar nicht, wenn ich am Steuer saß.»
    « Nein, was das angeht, so hat Halo recht», bestätigte Tarrant lachend. Im selben Augenblick erschien Mrs Spear, und ihr Gesicht hellte sich auf, als sie das Echo dieses Lachens hörte. Doch ihre Heiterkeit hielt nicht lange vor.«Ich glaube, Halo, wir hätten die Tracys schon längst einmal einladen sollen», begann sie, und um Augen und Mund bildeten sich wieder Falten.
    « Die Tracys – die Tracys –, wen um alles in der Welt meinst du mit den Tracys?», unterbrach sie Mr Spear, erfreut über ein neues Ventil für seinen Ärger.«Doch nicht etwa Tom Lorburns Hausbetreuerin für The Willows?»
    « Nun ja, Harold, eigentlich sind die Tracys nicht nur mit Tom Lorburn, sondern auch mit mir verwandt, wir waren nur leider furchtbar zurückhaltend, sind ihnen nie nahegekommen, außer um nachzuschauen, ob sie sich richtig um The Willows kümmern – und jetzt sagt Halo, dass ein junger Vetter aus dem Westen bei ihnen wohnt, ein Maler, nein, ich meine ein Dichter, ein echtes Genie. Und deshalb dachte ich …»
    Mrs Spears konfuse Erklärung wurde unterbrochen vom krampfhaften Stottern und den trotzigen Aussetzern eines Autos vor dem Haus. So vertraut war das Geräusch allen Anwesenden, dass Héloïse nur achselzuckend erklärte:«Was hab ich gesagt?», und sich zur Esszimmertür wandte, in der Hoffnung, dass der Anblick von Speisen die Untersuchung ihres nächtlichen Ausflugs abkürzen würde.
    « Und, Jacob?», rief Mr Spear und blieb mitten in der Halle stehen. Seine Tochter wandte sich um und begegnete dem vorwurfsvollen Blick des Familienfaktotums, das in der Tür stand und sich den Schweiß aus seinen ewigen Sorgenfalten wischte.
    « Tja, ich hab’s», sagte Jacob. Er schaute sich ein wenig unsicher um, dann wandte er sich wieder an Héloïse:«Ein Bursche saß drin. Er sagt, er hat sich verlaufen und ist eingeschlafen. Er wollte Reißaus nehmen, aber ich hab gesagt, er muss mitkommen und Ihnen sagen, was er in dem Auto zu suchen hatte.»
    Jacob trat zurück, und hinter ihm erschien eine dünne, jungenhafte Gestalt mit weißem Gesicht, zerzaustem Haar und dunklen, noch immer schlaftrunkenen Augen.
    « Ist das Eaglewood?», fragte Vance Weston die versammelte Gesellschaft; dann sah er Miss Spear hinter den anderen, und seine Blässe verwandelte sich in tiefe Röte.
    Halo tat einen Schritt nach vorn.«Vance – wie wunderbar. Mutter hat mich gerade gefragt, warum ich dich nicht zum Lunch mitgebracht habe, und nun bist du da!»
    Er blickte sie an, als verstehe er nicht recht.«Ich habe nicht nach Hause gefunden, deshalb bin ich wieder die Straße hochgegangen, und als ich merkte, dass das Auto immer noch dastand, habe ich mich hineingesetzt, um zu warten, bis jemand kommt – und da bin ich wohl eingeschlafen.»
    « Na bitte, das ist doch gut so, geradezu ein Wink des Schicksals. Du hast Jacob die Mühe erspart, den ganzen Berg hinunterzulaufen, um dich zu holen. Mutter, Vater, das ist Vance Weston, der zurzeit bei den Tracys in Paul’s Landing wohnt. Mutter, können

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