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Ein altes Haus am Hudson River

Ein altes Haus am Hudson River

Titel: Ein altes Haus am Hudson River Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edith Wharton
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Americana – man weiß ja nie. Das Beste an diesen Vorfahren ist, dass sie nie etwas weggeworfen haben. Haben sich um den Wert der Dinge nicht gekümmert, verstanden nichts davon, hingen aber einfach dran. Ich würde mich nicht wundern – oh, schau einer an! Hoppla!»Er streckte seinen langen Arm nach einem Regalbrett ganz oben aus, holte ein Buch herunter und vertiefte sich hinein.
    Vance betrachtete ihn neugierig. Er hatte noch nie einen so unbefangenen, selbstsicheren und dabei so gleichgültigen Menschen erlebt wie diesen Bruder von Miss Spear.«Dachte, Sie machen sich nichts aus Lesen», bemerkte er schließlich, amüsiert über die Versunkenheit seines Besuchers. Der junge Spear schreckte hoch und legte das Buch hin.«Oh, ich habe immer schon Paradoxa von mir gegeben; meine Familie treibe ich damit in den Wahnsinn, aber ich finde sie lustig. Das Dumme am Lesen in Eaglewood ist: Was man auch in die Hand bekommt, alle anderen haben es schon vor einem gelesen. Nichts mehr zu entdecken. Aber Sie lesen doch gar nicht, Sie – Sie schreiben? Sie werden schon noch merken, dass man nicht beides tun kann. Was liegt Ihnen besonders? Gedichte?»
    Vance zitterte vor Erregung, wie immer, wenn jemand an seine Berufung rührte. Aber seine jüngsten Erfahrungen hatten eine Art schützende Haut über seine geheimen Empfindlichkeiten wachsen lassen – oder standen die Augen dieses gut aussehenden jungen Mannes wirklich zu nah beieinander? Vance hätte sich mit ihm über alles Mögliche unterhalten können, aber nicht über das, was unter dieser Haut lag.«Ach, entscheiden werde ich mich später», sagte er.«Vorläufig bin ich noch im Lesestadium. Und dieses alte Haus interessiert mich. Wo ich herkomme, ist alles brandneu – Häuser, Bücher, alles. Wir werfen sie weg, wenn sie schadhaft werden. Und ich schau mir gern Sachen an, die andere Leute ewig aufgehoben haben – an denen sie hingen, wie Sie sagen.»
    Lorburn Spear betrachtete ihn mit Interesse, ja sogar Wohlwollen, dachte Vance. Eine Sekunde lang bekam sein Lächeln ein flüchtiges Strahlen wie bei seiner Schwester.«Ja, ich weiß, was Sie meinen. Für Sie hat die Beständigkeit den Reiz des Neuen. Und dieses Haus besitzt tatsächlich Charakter, auch wenn der alte Tom Lorburn zu dumm ist, um es zu merken. Unsere Cousine Elinor hatte ebenfalls Charakter. Guter Kopf, nicht wahr?»Er blickte zu dem Porträt hoch, immer noch mit dieser seltsamen Miene, als halte er an Vance fest, obwohl er woanders hinschaute.«Als sie das Haus erbte, hat sie viel dafür getan. Dieses Zimmer zeigt nur eine Seite von ihr, die gereifte, resignative. Doch beim Einrichten der Salons gab sie sich frivol, da träumte sie noch vom Tanzen – sie las walzertanzend Byron, das arme Mädchen! Welch ein Kitzel muss es für diese Frauen gewesen sein, dass ihnen so vieles verboten war! Haben Sie schon die anderen Zimmer gesehen? Nein? Aber sie sind es wert. Kommen Sie mit, bevor es zu dunkel wird.»
    Fröhlich ging er mit seinem langen, flotten Schritt über das gemusterte Parkett voraus, und Vance folgte, bezaubert vom Bild einer jungen Miss Lorburn, die noch vom Tanzen träumte und für die so vieles verboten und deshalb reizvoll war.«Und dennoch starb sie in ihrer Bibliothek …», dachte er.
    Lorry Spear war ein anregender Führer. Sein kurzer Auftritt erweckte die stummen Zimmer zum Leben, entzündete die dunklen Wachskerzen in den Lüstern und Wandleuchtern, entlockte dem schlummernden Klavier einen Walzer von Weber 38 , bevölkerte die Tanzfläche mit munter sich drehenden Paaren, bis Vance den getupften Musselin und den gebauschten, ringsum kameliengeschmückten Tarlatan 39 der jungen Frauen mit ihren Ringellöckchen und Sandalen zu sehen glaubte. Lorry fand die geistreichsten Worte, ließ alles vor seinen Augen lebendig, ja fast spürbar werden, und wusste, welche Blumen in den reich verzierten Porzellanvasen gestanden hatten – Reseden und Nelken, dazu üppige rosa Rosen, entschied er.«Ja, ich hätte Bühnenbildner werden sollen und wäre es auch geworden, wenn der Alte das Geld herausgerückt hätte. Aber dazu hätten sie Eaglewood verkaufen müssen – oder Halo an einen Millionär verheiraten», schloss er mit ungeduldigem Lachen.
    Oben führte er Vance durch merkwürdige Schlafzimmer; riesig und hoch mit Betten aus Mahagoni oder Rosenholz, spitzenverzierten Toilettentischen (wie die Ballkleider der Damen), vergoldeten, zwischen Draperien hindurchlugenden Spiegeln und gewaltigen

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