Ein altes Haus am Hudson River
Fifth Avenue und eine Stippvisite am Broadway, mehr war nicht möglich, dann mussten sie schon zur Pennsylvania Station laufen, zu ihrem Zug nach New Jersey. Ab da steckten sie zwischen den Baseballfans fest, einer Menschenmenge, wie er noch nie eine gesehen hatte. Das Leben wurde zu einem schweißtreibenden Kampf, einem Kampf um Luft, um Halt und um einen Blick auf etwas anderes als die erhitzten, schwitzenden Nacken und Schultern ringsum. Irgendwie erreichten sie zu guter Letzt das Stadion, gelangten durchs Tor, fanden ihre Plätze, entdeckten in der Nähe Bunty Hayes, umgeben von einer Menge verwandter Seelen, und gaben sich ganz den Freuden des Zuschauerdaseins hin – soweit ihre Plätze dies zuließen. Vance tröstete der Gedanke, dass es richtig gewesen war, Laura Lou die Karte nicht abzutreten; ein so zerbrechliches Geschöpf hätte diese Schlacht kaum überlebt.
Das Merkwürdigste an diesem Abenteuer war Uptons Verwandlung. Vance hätte gedacht, dass er für eine solche Nerven-und Muskelprobe fast ebenso ungeeignet wäre wie seine Schwester, doch kaum war der zaghafte junge Mann aus Paul’s Landing in seinen Sonntagsanzug geschlüpft, entwickelte er eine ungeahnte Kühnheit und Lässigkeit. Dass Vance sich nicht auskannte, schien Upton ein Gefühl der Überlegenheit zu geben; immer wieder sagte er beruhigend und fast herablassend:« Jetzt komm schon – bleib in meiner Nähe – lass dich nicht reinlegen.»Und als sie auf Bunty Hayes trafen, einen der Lebemänner von Paul’s Landing, staunte Vance, wie vertraulich dieser Upton begrüßte und dass seine Kumpel riefen:«Hallo, Uppy, mein Junge!», oder:«Sag mal, ist das der junge Tracy?»Upton hatte offensichtlich bereits gelernt, wie man ein Doppelleben führt, und der einfältige Junge, der in der Gärtnerei in Paul’s Landing arbeitete und zum Abendessen mit Schlamm und Mist an den Stiefeln heimtrampelte, war nur der blasse Schatten des wirklichen Upton, eines feschen, forschen Burschen, dem der Strohhut viel zu weit hinten auf dem blassblonden Haar saß und dem plötzlich ein Freundschaftsbändchen aus dem Knopfloch spross.«Ob Laura Lou wohl davon weiß?», überlegte Vance und kam zu dem Schluss, dass sie es wusste und die Geschwister unter Mrs Tracys ahnungslosen Augen ein Eigenleben führten. Jetzt tat es ihm eher leid, dass sie Laura Lou nicht mitgenommen hatten; es wäre sicher kurios gewesen, sie ebenso aufblühen zu sehen wie ihren Bruder. Doch über dem Vergnügen, das ihm das Zuschauen bereitete, vergaß Vance sie bald. Es war sein erster freier Tag seit Monaten – das langweilige Gesundwerden hatte ja nichts mit Ferien zu tun. Der Lärm und die Aufregung ringsum waren ansteckend, und er applaudierte und schrie mit den anderen, machte Witze mit Bunty Hayes und dessen Freunden und fühlte sich durchdrungen von der Kraft des jungen, starken Lebens ringsum. Doch als das Spiel vorüber war und die Menge sich zerstreute, schien die Lebenskraft aus ihm herauszufließen wie die Zuschauer aus dem Stadion. Es war immer noch sehr heiß, er hatte sich heiser geschrien, vor ihnen lagen der Kampf am Bahnhof, der Kampf um einen Platz im Zug und die stickige Heimreise. Jetzt merkte Vance, dass er noch immer ein Rekonvaleszent war und keine Kraftreserven besaß. In Euphoria hätten ihn nach einem Spiel ein Dutzend Leute bereitwillig mit nach Hause genommen, aber hier kannte er niemanden, Upton schien außer Bunty Hayes und seinem Gefolge keine Freunde zu haben, und Paul’s Landing, wo sie alle herkamen, war weit weg.
« Hör mal, ist dir schlecht?», fragte Bunty Hayes und tippte ihm auf die Schulter.
Vance errötete.«Schlecht? Mir ist nur heiß, und ich habe Durst, das ist alles.»Er würde nicht zulassen, dass ihn Uptons Kumpel wie einen Schlappschwanz behandelten.
« Na, das ist kein Problem. Komm mit, bisschen erfrischen. Wir schauen alle noch bei den Crans vorbei, hier in der Nähe. Das ist ihr Auto. Spring rein, Kleiner.»
Plötzlich stand da ein Wagen. Vance erinnerte sich, dass er sich mit Upton, Bunty Hayes und ein paar anderen hineingepfercht hatte; sie hockten einander auf dem Schoß und selbst auf dem Kofferraum. Am Lenkrad saß ein ständig lachendes Mädchen mit rot gefärbtem, windzerzaustem Haar. Wo fuhren sie hin? Wer war das? Vance war es egal. Als der Wagen losrollte, wehte auch ihm der Wind das Haar nach hinten, und das Leben durchflutete ihn wieder. Er begann zu lachen und versuchte, sich eine Zigarette anzuzünden, aber es ging
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