Ein altes Haus am Hudson River
versehen; an der Wand gegenüber hing ein großes Foto von einem dicken Mann mit Logenabzeichen und steifem Kragen, und irgendwo von unten kreischte ein Grammophon das Lied der Wolgaschiffer.
Dann zerfloss das Bild und verwandelte sich in das vertrautere von seinem ordentlichen Zimmerchen in Euphoria mit den Schulfotos und -trophäen an den Wänden und dem Geräusch frühmorgendlichen Geplätschers im weiß gekachelten Badezimmer am Ende des Flurs. Doch auch diese Vision hielt seinem sich aufklarenden Blick nicht stand, und nach einer Weile dachte er:«Natürlich, ich bin wieder in Paul’s Landing», denn vor seinen Augen erschienen, was ihn zum Teil beruhigte, zum Teil ängstigte, die schräge Zimmerdecke, die gegen die Scheibe knallenden Fliegen und draußen vor dem Fenster ein Fleckchen Land mit Johannisbeeren vor einem schwülen blauen Wald.« Was zum Teufel …»
Ach, jetzt fiel es ihm wieder ein! Upton hatte die Idee mit dem Baseballspiel drüben in New Jersey gehabt. Es war ein Samstag, der Tag nach Lorry Spears Besuch in The Willows. Als Vance am Freitagabend zu den Tracys heimgekommen war, wartete Upton mit weit aufgerissenen Augen am Tor. Sein Freund Bunty Hayes, Reporter bei der Zeitung von Paul’s Landing, habe ihm Eintrittskarten geschenkt. Sie könnten morgen früh den ersten Zug nehmen, sich noch ein wenig in New York umsehen und dann beizeiten zum Sportplatz fahren. Samstags könne er problemlos weg. Es beeindruckte Vance, wie Upton sich verändert hatte: Das blasse Gesicht war gerötet, die schüchtern dreinblickenden, nervös flackernden Augen brannten vor Erregung, und schon wie er sich bewegte und wichtigtuerisch herumstolzierte, ließ ihn um Jahre älter aussehen.
Im Haus, in Gegenwart von Mrs Tracy, wurde er jedoch sofort wieder zu dem zaghaften, schlurfenden Jungen aus der Gärtnerei mit Schwielen an den Händen und Schlamm an den Stiefeln. Mrs Tracy hatte nichts gegen den Plan einzuwenden, allenfalls hegte sie Bedenken wegen Vance’ Gesundheit. Vor ihnen liege ein langer, heißer Tag, und sie würden nicht vor zehn oder elf Uhr heimkommen. Er dürfe nicht vergessen, dass er sich von einer schweren Krankheit erhole … Aber Vance wollte nicht als Kranker gelten, nicht einmal als Genesender. Es gehe ihm wieder gut, erklärte er, und er sei allem gewachsen. Mrs Tracy musste zugeben, dass er in den vierzehn Tagen in Paul’s Landing schon sehr viel kräftiger geworden war, und schließlich erteilte sie ohne große Begeisterung ihre Zustimmung zu dem Ausflug, unter der Bedingung, dass die beiden Jungen mit dem frühestmöglichen Zug nach Hause fuhren und sich von schlechter Gesellschaft fernhielten – wie zum Beispiel von diesem Bunty Hayes, fügte sie hinzu. Vance und Upton wussten, dass es nicht ihre Art war, freudig auch nur irgendeinem Vorschlag zuzustimmen, der den gewohnten Gang des Lebens unterbrach; sie gaben ihr also die erbetene Zusicherung und rüsteten sich fröhlich für ihren Ausflug.
Als sie morgens herunterkamen, um den kalten Kaffee hinunterzustürzen und die Sandwichs zu verschlingen, die Mrs Tracy am Vorabend hergerichtet hatte, traf Vance zu seiner Verwunderung in der Küche auf Laura Lou, die ein offensichtlich umgearbeitetes gelbes Musselinkleid und auf dem golden schimmernden Kopf einen flotten Sonnenhut trug.«Ihr nehmt mich doch mit? Ich habe den Kaffee aufgewärmt und euch Eier gekocht», sagte sie in ihrer kindlichen Art zu Vance, und es tat ihm weh, als Upton sie mit brüderlicher Grausamkeit daran erinnerte, dass Bunty ihnen nur zwei Karten gegeben hatte. Ihre Unterlippe begann zu zittern, ihre großen, hilflosen grauen Augen füllten sich mit Tränen. Vance fragte sich verdrossen, ob er diesem lästigen Kind nun seine Karte abtreten sollte. Doch bevor er zu einem Entschluss kam, bereitete Upton dem stummen Flehen seiner Schwester ein rasches Ende.«Wir gehen mit einem Haufen anderer Jungen, du weißt, dass Mutter davon nichts hören will. Was soll das überhaupt? Du hast doch heute Nachmittag dieses Schulpicknick. Dafür hast du gestern extra dein Kleid umgeändert. Kümmere dich nicht um sie, Vance.»Sie rannte aus dem Zimmer, knallrot und dem Weinen nahe, und Vance aß seine Eier reuevoll und erleichtert. Er wollte an seinem ersten Tag in New York kein Mädchen dabeihaben …
Sie waren nur ein paar Stunden dort, und so hatte es keinen Sinn, einen Redakteur aufzuspüren. Ein Blick von ferne auf die wichtigsten Wolkenkratzer, maßloses Staunen angesichts der
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