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Ein anderes Leben

Ein anderes Leben

Titel: Ein anderes Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P Enquist
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kann er ja. Es ist seine Landschaft, sein Dorf, seine Familie. Die lähmende Angst davor, über etwas zu schreiben, das nur seine Privatsache ist, entfällt. Er schreibt über diese Menschen vor der Auswanderung einen Roman, den er Auszug der Musikanten nennt. Die Auswanderung lässt er fallen, aber nicht die Menschen. Es ist lustvoll, es ist eine furchtbare Geschichte über Großmutter Johanna Lindgren und Eeva-Lisa und Onkel Aron, der sich mit einem Kartoffelsack als Sinkgewicht durch das Eis der Burebucht hackt, und den Agitator Elmblad, der de Reengwürmer im Mund hatte und so dem jungen Nicanor beibrachte, dass man keine Wurmdose braucht. Ohne Hemmungen gibt er der Familie eine andere Biographie – oder legt zwei zusammen; es ist erdichtet, aber dennoch fast wahr.
    Er ist ja frei, er kann tun, was er will.
    Binnen eines Jahres ist er fertig. Dies ist der Prolog. Auf ihn wird nichts mehr folgen. Keine Auswanderung, keine Sandflöhe, kein Dschungel, keine Ratten, die das gelähmte Mädchen auffressen. Nur die Geschichte einer Familie im Küstenland von Västerbotten und die Geburt der Arbeiterbewegung unter Verhältnissen, die so nicht hätten sein sollen, aber dennoch so waren. Es endet mit der Abreise, dem Bahnhof in Bastuträsk, und dem Wort ›Signal‹.
    Im Frühjahr 1978 liefert er das Buch ab. Er ist glücklich. Er ist fest davon überzeugt, dass dies nur der Auftakt zu einer Reihe von Romanen ist, dass der Knoten sich jetzt gelöst hat und er frei ist, die Fortsetzung zu schreiben, die ein Fazit des nicht Kaschierten werden soll.
    Wie er sich doch täuscht.

Manchmal schreibt er Tagebuch.
    Seinem Jungen Mats wird beim Spielen ein Auge ausgestochen, das Tagebuch voll davon. Mats wach, als ich spät nach Hause komme. Am Morgen danach will er, dass ich ihn um drei von der Schule abhole, lehnte ab aus prinzipiellen Gründen. Es geht jetzt vor allem darum, seine Unsicherheit nicht unnötig zu verstärken. Er hat Angst vor der Dunkelheit. Teils ist es instinktive Furcht um das Auge, dass er das andere auch verliert, teils ist es Angst, allein gelassen zu werden, in seiner Alptraumwelt fallen die beiden Dinge zusammen. Allein in der Dunkelheit. M möchte, dass ich einen Roman über die nicht so Tüchtigen schreibe.
    ›Lehnte ab aus prinzipiellen Gründen‹! Was für ein furchtbarer Satz.
    Er notiert erfreut Tage ohne eine Flasche Wein. Er hat jetzt eine nahezu wissenschaftliche Kontrolle über seinen Alkoholkonsum. In Schweden ist die sogenannte IB-Affäre wie eine Bombe eingeschlagen, die Enthüllung, dass eine militärische Organisation ohne Wissen des Reichstags und ohne durch diesen kontrolliert zu sein, nachrichtlichen Aktivitäten nachgeht und außerdem Gesinnungsschnüffelei bei Kommunisten an deren Arbeitsplatz betreibt. Die Enthüllung erfolgt durch eine Publikation der linken Zeitung Folket i Bild / Kulturfront , die ihn stark an die westdeutsche Konkret erinnert, abgesehen davon, dass das deutsche Organ angesichts sinkender Auflagen vor den kommerziellen Kräften kapituliert und Bilder nackter Frauen bringt, aus ideologischen Gründen sind diese jedoch mager und in einem leichten Blauton gehalten, um die Notlage und Ausbeutung der Frauen anzudeuten; es gibt auch eine regelmäßige Spalte unter dem Sammelnamen ›Lass uns ficken, Kumpel!‹
    Dies wäre für FiB / Kulturfront , die von Idealismus und Jan Myrdal geleitet wird, undenkbar und kommt auch nicht vor; einige Jahre später, als die Auflage sinkt und die finanzielle Lage heikel ist, versucht man, breitere Leserschichten zu gewinnen, und beruft ein paar angegraute Sozis als Geiseln in den Vorstand, unter anderem ihn selbst. Ihm wird klar, welche Rolle er spielen soll, genau genommen die des blaugetönten mageren Nacktbilds, irregeleitetes sozialdemokratisches Nacktmodell vielleicht, ist aber trotz allem froh über diese Aufmunterung durch die SKP und nimmt der guten Sache zuliebe an.
    Die IB-Affäre ist schmerzlich und wirklich keine Sternstunde der Sozialdemokratie.
    Tatsächlich stinkt die Affäre und wird seitens der sozialdemokratischen Regierung schlecht gemanagt; Olof Palme, jetzt Ministerpräsident, taumelt leicht angeschlagen durch diesen Skandal, der damit endet, dass zwei Journalisten, Peter Bratt und Jan Guillou, wegen Spionage zu einem Jahr Gefängnis verurteilt werden.
    Alles wird durchgeschüttelt, auch Personen an der Peripherie wie er selbst. Seine Loyalität zur Partei bekommt ebenfalls einen Knacks. Gemeinsam mit Lars

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