Ein anderes Leben
Eine unfassbare Summe für dieses kleine, arme Kirchspiel.
Das Bethaus in Sjön, Hjoggböle, war ja etwas anderes. Es wurde immerhin von Freiwilligen erbaut, und Bauholz gab es zur Genüge. Die Welt um das Dorf herum war ja im großen und ganzen nicht abgeholzt. PW hat wohl die Heizung installiert. Nein, es gab keine Heizung, aber den Kamin!
Die Kirche und das Großschwedische brachten im Unterschied zum Bethaus die eisenharte Zugehörigkeit zur Staatskirche und zu den Bischöfen in Härnösand und Luleå zum Ausdruck. Dies war ein Kirchspiel, in dem die Arbeiterbewegung es nicht leicht gehabt hatte. Als die Agitatoren erschienen, bekamen sie von den frommen Arbeitern kräftig Prügel. Wollte man in den revolutionären siebziger Jahren zeitgemäße Schlüsse ziehen, wie man sie den aufgeheizten Theatervorstellungen der freien Theatergruppen entnehmen konnte, war die historische Entwicklung dieses Kirchspiels nicht besonders reinlehrig. Man musste sich beinahe schämen. Die ausgebeuteten und frommen Arbeiter im Kirchspiel Bureå waren die schlimmsten Feinde der Arbeiterbewegung.
Dies machte wohl auch seine eigenen, tiefsten Wurzeln aus. Zu privat, um darüber zu schreiben. Dann lieber die Genossen in Argentinien als Versprengte im Exil betrachten.
Seit vielen Jahren wusste er, dass einige entfernte Verwandte am Anfang des Jahrhunderts nach Argentinien ausgewandert waren.
Allerdings kamen die meisten aus Kiruna.
Es war eine Auswanderungsgeschichte, oder Saga, oder Tragödie. Er beschließt, ein halbes Jahr nach Argentinien zu fahren, um die Überbleibsel dieser Auswanderung aufzuspüren; er bereitet sich vor, jagt nach Adressen in Misiones, wo sich die letzten Reste dieser Auswanderung im Dschungel verbergen; er stellt sich dies in dramatischen Begriffen wie sich im Dschungel verbergen vor.
Alles ist klar. Da ändert er seine Pläne, verschiebt die Reise nach Südamerika und reist nach Los Angeles. Er verbringt acht Monate als Gastprofessor am UCLA. Als er zurückkommt, liegen die Stapel des Argentinienprojekts da, Hunderte miserabler Seiten, fertig geschrieben und wartend.
Er betrachtet das Projekt voller Verzweiflung.
Die Auswanderer hatten das Land nach dem großen Streik 1909 verlassen, sie waren arbeitslos und ohne Hoffnung, nachdem sie auf schwarze Listen gesetzt worden waren.
Dort saßen sie in ihrem Exil, und wie es ihnen ergangen war, wusste er ungefähr. Von den dreitausend, die um 1911 emigrierten, waren tausend zurückgekehrt, tausend waren an Krankheiten und aufgrund der Strapazen im Dschungel im Norden Argentiniens gestorben, und tausend saßen noch dort, wo sie sich niedergelassen hatten.
Prinz Wilhelm hatte einmal ein Buch über diese Auswanderung geschrieben, ›Die Schweden der roten Erde‹. In der Version des Prinzen war alles ein wenig rührend, oder eher betulich, mutige Schweden im Kampf mit unverständigen Eingeborenen . Aber vielleicht war es wahr. Vielleicht war die Wirklichkeit nicht so anständig, wie man hoffen mochte.
Die Wirklichkeit der misshandelten Agitatoren im Kirchspiel Bureå war ja auch nicht so, wie sie hätte sein sollen.
*
Es fällt ihm immer schwerer, mit diesem Zwiespalt zwischen wie es ist und wie es sein sollte umzugehen. Es sind ja die siebziger Jahre, eine Zeit normativen Denkens. Erfreulicher, wenn die Arbeiter im Kirchspiel Bureå fortschrittlicher gewesen wären. Oder, was das betrifft, wenn der Vater keinen Chevrolet gekauft hätte und nicht Mitglied bei den Tempelrittern gewesen wäre.
Aber die Wirklichkeit ist ja ziemlich unrein. Die Monumente selten aus einem Guss. Dieses Gefühl, Man hat uns hinters Licht geführt! Auch liebe Kinder wie er, deren einzige große Sorge es ist, eine Sünde zu finden, die man bei der Samstagsandacht bekennen kann, haben einen eigentümlichen Drang zu opponieren, manchmal wider besseres Wissen. Mit den Kindern des Fundamentalismus hatte es seine besondere Bewandtnis. Besser sagen, was Sache ist, als recht bekommen, schreibt er einmal und grübelt lange über diesen absonderlichen Satz nach, bevor er das Papier zerknüllt.
Selten hat er etwas so vorgefunden, wie er es erwartet hat. Nicht in der Sowjetunion, nicht in Berlin, nicht in München, nicht im Kirchspiel Bureå, wo seine edlen Vorväter in der Arbeiterklasse sich nicht ganz so verhalten haben, wie sie es hätten sollen. Ein ums andere Jahr hat er die notwendige Reise nach Misiones im Norden Argentiniens verschoben, wo die Auswanderer steckengeblieben waren. So
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