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Ein anderes Leben

Ein anderes Leben

Titel: Ein anderes Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P Enquist
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Winterknubbel) über die Ohren gezogen – es muss also Winter gewesen sein – und hält den Fuchs im Arm. Der Fuchs ist gigantisch, P. W. starrt erschrocken oder stolz mit aufgerissenen Augen direkt in die Kamera und hat den Fuchs fest im Griff. Der Fuchs sieht schwer aus, sträubt sich aber nicht, um freizukommen, sondern drückt sich eher an den Großvater, wie um Schutz gegen die feindliche Umgebung zu suchen.
    Der Kopf des Fuchses ist dem Fotografen zugewandt. Er starrt den Stockholmer mit besorgter Miene an: Der Großvater und der Fuchs sehen aus, als seien sie sich einig. Sie wissen, was sie getan haben. Sie sind unerhört weit gereist, haben gemeinsam eine Expedition unternommen. Sie haben es gewagt, Hjoggböle zu verlassen, als die ersten in der Familie, um etwas zu verwirklichen. Jetzt sind sie am Ziel. Sie klammern sich in einer erschreckten, aber entschlossenen Umarmung aneinander. Gemeinsam haben sie die Gefahren in diesem fremden und feindlichen Land gemeistert.
    P. W. hatte keine Verse oder Gedenkworte geschrieben und auf keinen Fall einen Roman. Aber er hatte diesen Kreuzfuchs geschaffen, war aufgebrochen, und hatte den ersten Preis erobert.
    Dann machten sie den weiten Weg zurück ins Dorf. Es war seine einzige lange Reise. Danach sollte er das Dorf nie wieder verlassen.

Kapitel 3
DER REISEGEFÄHRTE
    Einer der großen Bäume, die fielen, war keine Kiefer, sondern de Elof.
    Mit der Zeit versteht er, dass das ein Unterschied ist.
    Er muss jetzt diese Gestalt umreißen und sich bemühen, dieses Zeichen zu deuten.
    Er schläft in der Schlafkammer im Obergeschoss des grünen Hauses, zusammen mit der Mutter.
    Sein Bett ist schon vor seiner Geburt angeschafft worden, eigentlich für den Totjungen, doch jetzt ruht er selbst dort, in diesem Sarg für Lebende. Dort ruht er in Gottes sicherer Umarmung, das Bett lässt sich mit einem Ausziehsystem verlängern, während er wächst. Auf diese Weise bleibt er immer das Kind im Sarg. Im Prinzip bleibt er während seiner ganzen Jugend neugeboren, nur insgeheim verlängert, und deshalb abhängig.
    Die Mutter allein in ihrem jetzt schmalen Bett. Das eheliche Doppelbett verkauft. Kommode auf der linken Seite, ein Wasserglas mit dem Gebiss; sie verlor ihre Zähne schon als Siebzehnjährige. Sie spricht nie darüber, will auch die Scham nicht zeigen, aber wenn sie lacht, tut sie es seltsam zurückhaltend, beinah erschrocken, als schäme sie sich noch immer.
    Das Kind soll auch ihr Lächeln erben, unbedeutend, geniert, dem Anschein nach schüchtern.
    Vom Schlafzimmer führt eine Treppe nach unten. Diese Treppe trugen sie die Mutter hinunter, als der tote Bruder falsch herum lag und sie brüllte. Åke Sehlstedt trug am Fußende, das erzählt er später dem jetzt erwachsenen Kind, doch in aller Kürze: Ich hab am Fußend getraang .
    Da soll man verstehen.
    Um die Schlafkammer herum gibt es das Dorf, dann das Land, dann die Welt, aber über all dem gibt es seinen toten Vater.
    Es gibt nicht viel über ihn zu wissen.
    Er war gestorben. Es war etwas mit dem Magen. Plötzlich hatte er den Geist aufgegeben, im Krankenhaus. Vielleicht war es der Blinddarm, wie Doktor Hultman behauptete, aber vielleicht auch Porphyrie, die eigentümliche, genetisch vererbte Krankheit, die er an seinen Sohn weitergeben sollte, wie so vieles andere. Ein Holländer war im 18. Jahrhundert ins obere Norrland gekommen und hatte die Porphyrie mitgebracht und verbreitet. Man pinkelte rot, und dreißig Prozent starben, bevor klar wurde, was es war. Die Porphyrie kam hauptsächlich in Holland und Südafrika und in Arvidsjaur vor. Ein Witz unter Medizinern in Uppsala besagte, dass man, wenn man im Winter über das obere Norrland flog, sehen konnte, in welchen Dörfern es Porphyriefälle gab. Die Schneewehen waren rot, wo die Männer gepinkelt hatten. Später im Leben findet er, dass dies ein internationaler Zug in der Provinzialität ist, und fühlt sich als Weltbürger. Nicht einmal die Stockholmer hatten das. Er fühlt sich gleichsam unmächtig, der Porphyrismus ist ein geheimer Orden, ist anderst , beinah wertvoller, etwas wie die Tempelritter, obwohl viele starben.
    Doch lieber das als der Blinddarm. Am Blinddarm starben ja fast alle. Lieber an einer internationalen Krankheit sterben. Im Gemeindebüro in Bureå ist die Krankenakte bewahrt, er nimmt irgendwann in den achtziger Jahren Einsicht und findet dabei, dass es wohl ziemlich sicher Porphyrie war. Das freut ihn.
    Der Todeskampf hatte drei Tage

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