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Ein anderes Leben

Ein anderes Leben

Titel: Ein anderes Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P Enquist
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Städte namens Ohola und Oholiba. Letztere eigentlich Jerusalem. Dazu ließ sie auch nicht von ihrer Hurerei mit den Ägyptern, die bei ihr gelegen hatten in ihrer Jugend und ihre jungen Brüste betastet und schlimme Hurerei mit ihr betrieben hatten.
    Man konnte es sich ja vorstellen. Und es deuten. Das Allerverbotenste, also der Frauenkörper, pochte und spannte sich unter dem verbotenen Panzer. Die Jungen lernten schon früh, was das einzig Wichtige war, der Sinn des Lebens, also die weibliche Vagina.
    Sie war da, unter der Rüstung.
    Die gepanzerten Brüste in Åhlén & Holms Katalog waren zwar nicht so sinnlich wie die Nacktbilder in der Familienbibel, Dorés beispiellose Bilder der Sintflut, auf denen sich vor der Arche im Hintergrund die nackten Frauen um Schlangen und Tiger wanden; aber die Familienbibel hatte ihren Platz in der guten Stube und war die eigentliche Festung des Glaubens, unumstößlich, von zwei Leuchtern flankiert. Und zu des Herrn Heiliger Schrift zu onanieren wäre ja die entsetzlichste Todsünde.
    Er machte nicht einmal einen Versuch. Es war das Verbotenste. Aber im Katalog mit den BH-Anzeigen auf dem Plumpsklo: Dort war die Frau. Siedendes Öl oder nicht: Der Frauenkörper besiegte alles.
    Am Ende war es notwendig, und tatsächlich auch ganz und gar möglich, zu lernen, mit der Sünde zu leben. Das Manische am Onanieren nutzte sozusagen die malende Angst des Sündenbewusstseins ab. Man konnte ja nicht ständig Sündenangst haben. Man sollte ja auch noch essen, und schlafen, und dann die Schule, und dann onanieren, und schlafen, und die Schule und die Hausaufgaben, und onanieren. Es war ein Kampf. Und das Sündenbewusstsein verdünnte sich immer mehr. Es verdickte sich zwar wieder während der Predigten im Bethaus und im Heer der Hoffnung und wenn er allein zum Erlöser betete. Doch dann war das Weltliche da. Die Hölle verblasste ein wenig, die Einsicht in die ewigen Qualen ebenso: Also wieder onanieren und Hausaufgaben und onanieren und verzeih lieber Gott und essen und schlafen.
    Es ließ sich leben mit der Onanie.

Nur manchmal spitzte sich gleichsam alles zu. Am schlimmsten war es, als seine Großmutter starb.
    Er hatte sie immer geliebt. Sie war die Königin auf Gammelstället. Sie war bestimmt gegenüber jedermann in der Familie und führte das Kommando, wie alle Frauen in der Familie, aber ihm gegenüber war sie seltsam weich . Wenn er zur Weihnachtszeit die Schaffelldecke mit ihr teilte, durfte er mit dem Kopf auf ihrem Arm liegen. Jetzt war sie sehr geschwächt, und die Cousins und Cousinen weinten und blieben im Erdgeschoss, aber Johanna hatte gefragt, ob nich de Per-Ola heraufkommen und etwas aus der Bibel vorlesen könne.
    Als er kam, war sie eingeschlafen. In den Minuten, bevor sie heimgeholt wurde, hatte er gelesen.
    Die letzten Tage hatte sie sehr still in ihrer Kammer auf dem Dachboden von Gammelstället gelegen, und als er eingetreten war, hatte sie ihn hauptsächlich angesehen und nichts Besonderes sagen können; sie war einmal eine sehr schöne Frau gewesen, im Unterschied zu allen anderen in seiner Familie stammte sie aus einem Ort, der nicht im Umkreis von zehn Kilometern lag.
    Sie war von weit her.
    Als sie in die Familie einheiratete, war es zum Konflikt gekommen. Es hieß, sie habe als Magd bei Lindgrens auf Gammelstället gedient und dort den Sohn verhext. Dieser, also sein Großvater, der so früh starb, dass er in der Erinnerung seines Enkels nur als einer weiterlebte, der ihm ein Windrad gebaut hatte, hatte jedoch den Streit mit der übrigen Familie aufgenommen, die Johanna – obwohl niemand das Wort aussprach – als Mesalliance betrachtete. Sie war in Byberget im südlichen Västerbotten geboren, bei Vindeln; es lag nicht fern von jenem västerbottnischen Degersfors, das gegen Ende des 18. Jahrhunderts von Wallonen aus Belgien überschwemmt wurde, dem fremden Volk in Degerforsa. Es hatte etwas mit der Eisenverhüttung zu tun. Dunkle Wallonen, die die Hüttenwerkskultur mitgebracht hatten.
    Etwas Rätselhaftes hing Johannas Eltern an; ihr Vater wurde als »Eingesessener« geführt. Er bekam das Kind Johanna, als er beinahe vierzig Jahre alt war, ein Altknecht fast, ein wallonischer Landarbeiter, der für den Rest des Lebens auf einer Schlafbank auf dem Dachboden untergebracht war. Und dann bekam dieser Eingesessene diese wunderschöne Tochter, die den Großvater nahezu verhexte und ihn dazu brachte, sich dem absoluten Verbot der Familie zu widersetzen. Sie kam

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