Ein anderes Leben
von Byberget und es war etwas Komisches mit ihrer Familie, aber de Albert hat sich nix draus gemacht. Vielleicht lag etwas Dunkelhäutiges, Fremdes, Wallonisches schon in dem Gedanken, sich seine Frau von so weit her zu holen.
Im Süden nach Vindeln zu! Sie saß ja so tief in allem, auch in ihm. Eine Angst vor dem Fremden und Unbekannten, und dann das Selbstbewusstsein! Was is schon Besonderes am Atlantikteich – ihr solltet mal Hornavan sehen! Der Fremde, der ins Dorf kam! Das Bedrohliche!
Wenn ein Zigeuner auf der Landstraße gewandert kam, verschloss die Mutter jedes Mal die Tür, und sie gingen auf den Dachboden und saßen mucksmäuschenstill da, bis die Gefahr vorüber war; fast siebzig Jahre sollte es dauern, bis er verstand, woher die Angst kam. Die Einwanderer! Doch die Großmutter, die immerhin der Fremdling in der Familie aus dem furchteinflößenden und entlegenen Byberget war, südlich von Ume! – die liebte er. Und jetzt lag sie stumm da, den Blick unverwandt auf das Enkelkind geheftet, und atmete mit langen quälenden Atemzügen, und er wusste, dass sie sterben würde.
Nichts wusste er über ihr Leben. Außer dass sie auch bis zu ihren letzten pfeifenden Atemzügen eine ausgesprochen schöne Frau war, die – ungeachtet der Konflikte und des Widerstands der Familie, in die sie eingeheiratet hatte – sogleich das Kommando über alle übernommen und alles mit ruhiger Hand gelenkt hatte. Und dass niemand, niemand! ihr zu widersprechen wagte.
Viel später sollte er einen Roman über sie schreiben, der Auszug der Musikanten hieß. Jetzt lag sie nur da und atmete pfeifend und sah ihn an, als wollte sie noch einmal sagen, was sie am Tag zuvor gesagt hatte: Herzlieb Per-Ola, jetzt sterb ich und du darfs keine Dummheiten machen oder in’ Alk’hol g’raten wie e Papa.
Wie Papa? Was meinte sie? Den, der als »Eingesessener« geführt worden war? War er in den Alkohol geraten?
Im Augenblick ihres Todes saß er dort am Bett und las aus dem Buch Ruth, das er mochte. Nur sie beide waren im Raum. Die anderen gingen unten in der Küche auf und ab und flennten. Er hatte sie für sich allein. Er fühlte sich beinahe glücklich, sie hatte ihre eine Hand auf der Decke bewegt wie zu einem Zeichen, dann den Kopf nach oben, und dann blieb ihr Atmen so lange aus, dass er verstand, dass sie ihr Leben nicht wieder aufnehmen konnte , und tot war sie.
Oder in’ Alk’hol g’raten wie e Papa? Hatte sie den rätselhaften »Eingesessenen« gemeint, ihren Vater, das wallonische Blut, oder was hatte sie gemeint?
Er weinte bei der Beerdigung, und als er nach Hause kam, fühlte er, dass er ihr zuliebe etwas Wichtiges tun musste. Sie war jetzt heimgeholt. Sie hatte ihm eine Richtlinie vorgegeben. Das bedeutete etwas.
Er ging in den Wald hinauf und dachte nach. Dann kniete er nieder und betete zum Erlöser, der jedoch nichts erwiderte, aber an dieses Schweigen war er ja gewöhnt. Danach richtete er sein Gebet direkt an die Großmutter Johanna Lindgren. Es war ein frischer und herrlicher Abend im Wald, wie gemacht fürs Beten. Er lag auf den Knien. Er betete. Es war mehr ein Versprechen als ein Gebet. Liebste Großmutter, ich verspreche, zu deinem Gedenken und als Dank für die Liebe und Fürsorge, die du mir erwiesen hast, dass ich zum Gedenken daran verspreche und schwöre, einen Monat lang kein einziges Mal zu wichsen, und zwar von morgen früh sieben Uhr an oder auf jeden Fall von wenn ich wach werde.
Als er sich von den Knien erhob, hatte er Tränen in den Augen und ging schnurstracks zum Plumpsklo und onanierte, was ja kein Bruch des Versprechens war, sondern nur ein letztes Mal vor der einen Monat währenden Enthaltsamkeit, die ja, seinem heiligen Versprechen zufolge, am nächsten Morgen um sieben Uhr beginnen sollte.
In den ersten Tagen ist die Trauer um die Großmutter noch stark, alles ist sehr still. Er erinnert sich an sein Versprechen zu ihrem Gedenken und hat keine Schwierigkeiten, es auch zu halten. Doch schon am fünften Tag scheint es, als ob dieser Katalog von Åhlén & Holm in der Kiste auf dem Plumpsklo, wo früher die Lokusspäne aufbewahrt wurden, aktiviert worden sei. Als ginge von dem Katalog eine gerichtete radioaktive Strahlung aus, besonders von den Seiten mit den Büstenhaltern. Er denkt mehr und mehr daran; bei jedem Besuch auf dem Lokus wird es schwerer und schwerer.
Und schließlich, am achten Tag, bricht er das heilige Versprechen, das er seiner toten Großmutter Johanna Lindgren gegeben
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