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Ein anderes Leben

Ein anderes Leben

Titel: Ein anderes Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P Enquist
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hat.
    Er weiß nicht, woher das Sündenbewusstsein kommt.
    Eins ist sicher: Es war nicht die Mutter. Von ihr nie ein Wort über Sexualität, über die schädlichen Auswirkungen der Selbstbefleckung, nichts. Wirklich absolutes Schweigen in bezug auf alles, was mit Sexualität zu tun hatte. Das Thema existierte nicht. Kein Sexualunterricht, keine Schreckenspropaganda, kein helles, idealistisches Bild dessen, wie Kinder zur Welt kommen. Schweigen.
    Es gab in einem Bauerndorf wie Hjoggböle gewisse Selbstverständlichkeiten, zum Beispiel dass Stiere Kühe deckten, dass Kaninchen kopulierten (diese unzähligen Kaninchen, die während des Zweiten Weltkriegs die Krisenwirtschaft retten sollten, diese kleinen, ständig kopulierenden Fellbälle! Was konnte man von ihnen nicht lernen!), und vielleicht nahm man an, dass die Sexualität der Tiere eine Erfahrungsgrundlage war, die alle Wörter überflüssig machte.
    Aber wo kam dann die Sünde her? Das Schuldgefühl? Wenn es nicht die Mutter war?
    Er weiß es nicht. Aber von irgendwoher kam es, wälzte sich heran wie ein grauer Nebel über die fromme Erweckungsbewegung, und lichtete sich nie. War da, auch ohne Worte.
    Warum schwieg sie? Und was für eine Beziehung hatten sein Vater und seine Mutter gehabt in den kurzen Jahren ihres Zusammenlebens im grünen Haus?
    Doch dazu keine Zeile. Keine Notiz. Und natürlich kein Wort des Bekennens.

Er lernt, dass die Welt voller Sünde ist und dass Fehltritte beschmutzen wie Kuhfladen im Sommer.
    Deshalb verteidigt er sich gegen die Sünde, indem er sich enthält.
    Es ist eine Prüfung, aber er ist im großen und ganzen mit Erfolg gesegnet. Es ist der wunderbare Weg des Glaubens durch das Minenfeld der Sünde. Ein gutes Bild. Er denkt tatsächlich so, nachdem er auf dem Dachboden des Vaters den Feldsoldaten gefunden und darin Strategien studiert hat sowie Minenräumung. Der Feldsoldat und Robinson Crusoe sind die Bücher, die ihn durch sein ganzes Leben begleiten.
    Das meiste ist verboten, lernt er, aber es gibt kleine und große Verbote. Zu den kleinen gehört die Verlockung durch Phänomene, die er im Grunde gar nicht kennt, weil sie durch und durch theoretische Begriffe sind, die den Horizont des Dorfs weit übersteigen. Dazu zählt das Verbot, Theater zu besuchen, oder Filmvorführungen. Theater sieht er, abgesehen vom Ereignis mit Bullen Berglunds Gastspiel in Bureå, zum ersten Mal in Uppsala. Film nur ein einziges Mal vor seinem sechzehnten Lebensjahr. Es ist Kan doktorn komma , der auf den Erinnerungen des Lappenmarkarztes Einar Wallquist basiert. Die böse Kraft im Film ist eine zigeunerähnliche Gestalt, ein Wilderer, der einen Elch schießt. Er wird bestraft. Möglicherweise gehört auch der Alkohol zu den kleinen und nebensächlichen Verboten, weil es praktisch unmöglich war, Alkohol zu beschaffen. Gab es einfach nicht.
    Einmal wäre es jedoch beinahe zur Katastrophe gekommen; jemand hatte im ICA-Laden in Sjöbotten, dem zweiten Dorf, in das die Mutter versetzt worden war, in einem Regal einige Flaschen Punschessenz gesehen.
    Die Leitung des Blauen Kreuzes, bei dem seine Mutter stellvertretende Vorsitzende war und sein Onkel Birger Nordmark Vorsitzender, war mobilisiert worden und hatte interveniert und den Vorsteher kräftig zurechtgewiesen . Sein hilfloses Aufbegehren und seine Beteuerungen, dass dies keinen Alkohol enthielte , waren angesichts der klaren und kraftvollen Zurechtweisungen der Blaukreuzführer wirkungslos verpufft.
    Die großen Verbote, also jene, die eine praktische Realität betrafen, waren zum Beispiel das Kartenspiel. Auch Schwarzer Peter, das zum Einstieg werden konnte für die regelrechten und durch und durch sündigen Kartenspiele, die den Menschen in den Trunk zogen. Sowie jegliche Form von Tanz. Zu diesen großen Verboten gehörten auch Fußball oder Sport am Sonntag sowie alle Formen von Sexualität. Die Verbote waren groß, weil sie irgendwie in Reichweite waren. Die Sexualität war bis zum Jahr vor dem Tod der Großmutter kein Problem. Dann begann er zu denken, zu onanieren, sich Sachen vorzustellen und Sündenangst zu fühlen.
    Das Problem der Sexualität in der Erweckungsbewegung im Küstenland von Västerbotten war in der stark herrnhutischen Prägung begründet. Der Glaube hatte in dieser Bewegung sozusagen einen sexuellen Untertext, der schwer wegzubeten war, selbst wenn man sich Mühe gab. Er war in den Bauch des västerbottnischen Seelenlebens eingestempelt wie mit einem Brenneisen,

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