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Ein anderes Leben

Ein anderes Leben

Titel: Ein anderes Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P Enquist
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seiner großen Beliebtheit nicht zuletzt bei den Frauen des Dorfs und seiner humorvollen Ausstrahlung, wenn er gegen alle Wahrscheinlichkeit trotz allem erweckt worden war , praktisch durch die reine Willensstärke seitens der schönen Lehrerin!, war es nicht so? dachte sie nicht so? – dann konnte er doch, wenngleich halb tot, gut den eingeborenen Sohn mit sich ziehen in die Schar der Erweckten.
    Das Kind plant jetzt einen Kompromiss. Pastor will er nicht werden, wohl aber Gleichnisse über Wunder vortragen. Auf einer niedrigeren Ebene, vor geringeren Versammlungen, zum Beispiel das Gleichnis, wie Jesus ihn in Skelleftehamn aufs Treppchen brachte. Die Aufgabe eines Verkünders ist ja größer als die des Pastors. Sie besteht darin, hinter dem Alltäglichen, also der kleinen Vorschullehrerin, das Wahre in Christus zu sehen.
    So denkt er. Es ist wie ein Gift.
    Das Fehlen väterlichen Rats sorgt auch für andere Probleme.
    Im Frühjahr 1948, kurz vor den Ruinenspielen, also den Olympischen Spielen in London, wo die schwedischen Recken im Kampf gegen die vielleicht kriegsmüden Mitbewerber so viele Goldmedaillen erobern können, schafft er es zum ersten Mal, zu onanieren.
    Er erlebt eine kurze und verblüffende Wonne und betrachtet mit Erstaunen und Verwirrung die sehr kleine und wasserklare Blase, die aus seinem Penis kommt. Er hat den Schritt in die Liebe getan, ganz ohne Anleitung, und weiß nicht, was für ein Gnadengeschenk ihm da zugefallen ist.
    Sehr bald jedoch erfährt er, dass dies eine Sünde ist. Die bestraft wird. Nicht so, dass das Rückgrat verfault, wie bei den Jungs im Süden nach Stockholm hin , von denen es heißt, dass sie schon als Zwanzigjährige gekrümmt gehen, ohne Rückenmark. Nein, bei den Västerbottningern ist das Onanieren mehr wie eine später bestrafte Todsünde. Also nach dem Tod. Man blieb zwar während des Lebens gesund an Körper und Rückgrat; das konnte er ja selbst sehen an all den sehr muskulösen und onanierenden Holzfällern in seiner Umgebung. Wirklich körperlich kerngesunde Sünder! Was gleichsam der Beweis war.
    Aber dass man, wenn man starb und zur Hölle entrückt wurde, auf ewig in siedendem Öl schmoren musste.
    Niemand im Dorf benennt diese Sünde mit klaren oder unklaren Worten, niemand könnte diese Abscheulichkeiten mit klaren oder unklaren Worten zur Sprache bringen ; aber es liegt in der Luft . Die Angst wird dadurch nicht geringer, dass er im Herbst zuvor Ivar Lo-Johanssons Geniet gelesen hat, in dem der ununterbrochen onanierende Held sich am Schluss mit einer Gartenschere kastriert, ein entsetzliches Buch, das ihn in den Nächten heimsucht.
    Er verdrängt anfangs das Sündenbewusstsein, weil es ganz einfach so schön ist zu onanieren. Bald weiß er jedoch, dass dies die schlimmste aller Sünden ist, siedendes Öl und so weiter. Seitens der Mutter kein Wort. Nichts von Händen über die Decke und unzüchtigen Gedanken. Überhaupt während seiner ganzen Jugend nichts über Sexualität. Kein Wort.
    Vielleicht ist sie ganz einfach schamhaft.

Im Herbst 1946, als er zwölf Jahre alt ist, verlässt er zusammen mit seiner Mutter für immer das erste Dorf, und das grüne Haus.
    Sie verkauft das Werk des Vaters!
    Ohne ihn zu fragen. Die Hütte auf Granholmen auch. Er erfährt es im Sommer. Die Mutter wird eine Stelle in einem Nachbardorf antreten. Es heißt Sjöbotten. Botten bedeutet das innerste Ende einer Bucht.
    Es ist üblich, über die Reise von Sjön nach Sjöbotten Scherze zu machen. Er tut das nicht.
    Sie leben jetzt in einer kleinen Wohnung im Obergeschoss eines Hauses neben der Schule. Er bekommt ein eigenes Zimmer, und die Wohnung hat sogar ein Innenklo, auch wenn es im Sommer auf dem gewöhnlichen viel gemütlicher ist. Er fragt ständig, warum sie umziehen wollte. Er bekommt keine Antwort. Er fragt, warum sie jetzt auch das Sommerhaus auf Granholmen verlassen müssen. Es wird zu weit, sagt sie. Er beschwört sie, dass sie mit dem Rad fahren und so mit Leichtigkeit diese seine Kindheitsinsel erreichen können, mit den Ausgucken hoch oben in den Riesentannen und Großvaters schwer zu ruderndem Boot. Sie sagt, sie wolle nicht länger die ganzen Sommer allein mit ihm da draußen sitzen. Er stößt sich an dem Ausdruck. Dasitzen und vor mich hinglotzen, verdeutlicht sie.
    Sie meint vielleicht: Ich bin noch jung.
    In dem zweiten Dorf hat er nicht so viele Cousins und Cousinen, fast gar keine, sieben Stück, und hier im neuen Dorf fängt er an zu onanieren. Er

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