Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein anderes Leben

Ein anderes Leben

Titel: Ein anderes Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P Enquist
Vom Netzwerk:
schreiben.
    Auch diese Beurteilung ist schwer zu deuten.
    Er darf im kommenden ersten Monat mehrere Gedichte von Gustafsson lesen und zeigt ihm weitere seiner eigenen, jetzt maschinengeschriebene. Eins von Gustafssons Gedichten handelt von einem Mr. Pullen, Engländer, offenbar schwer entwicklungsgestört, vielleicht ein Idiot, aber ein Genie im Bau von Schiffsmodellen in fast natürlicher Größe. An einem der Schiffsmodelle arbeitet er unerhört lange, vielleicht zwanzig Jahre, aber er lässt nicht locker. Dieser Mr. Pullen wird allgemein nicht für voll genommen, aber plötzlich öffnet er die Tür des Schuppens, in dem das Modell steht, und lässt alle herein, und da sehen die anderen, dass er nicht nur ein Dorfidiot war, sondern ein Kunstwerk zu schaffen imstande war, das nichts bisher Geschaffenem gleicht. Man versteht, dass dies der Sinn des Lebens ist, dass Idioten Genies sein können, und dass es darauf ankommt, einmal im Leben ein Kunstwerk hervorzubringen.
    Er liest das Gedicht, findet es genial, wird auch seltsam erregt und denkt an seinen Großvater und seine Reise mit dem Kreuzfuchs, und er versteht genau. Man kann auf unterschiedlichste Weise Kunst schaffen, wie der Fuchsfarmer PW oder Mr. Pullen. Aber er vermutet auch, dass das Gedicht über Mr. Pullen ein rein dokumentarisches Selbstporträt des Studenten aus Västervåla ist. Er fragt Gustafsson, ob es ein Selbstporträt sei, und ist geknickt, als Gustafsson sich gekränkt fühlt.
    So war es nicht gemeint, verteidigt er sich, es tut ihm leid, wenn seine Analyse Gustafsson gekränkt hat. Es war eine sehr positive Rezension, verdeutlicht er.
    Gustafsson ist zu dieser Zeit ein wenig eigenartig, aber fürsorglich, und erklärt bei einer ihrer vielen Teestunden, dass er seinen neuen Kollegen schätze, dem Neuankömmling aber gern einige Ratschläge geben möchte. Er meint, dass die Sache mit den Hochsprungambitionen und seine auch sonst begrenzte Lebenserfahrung aus dem Inneren des norrländischen Urwalds das Risiko in sich bergen würden, ihn hier zu einem Sonderling, vielleicht einem Außenseiter zu machen, der von dem in Uppsala Üblichen abweiche. Dass man ihn als ein bisschen sonderbar ansehe.
    Als ob er anderst wäre? fragt er und übersetzt. Genau! antwortet Gustafsson. Er müsse sich vorsehen, meint Gustafsson, weil Uppsala eine sehr intellektuelle Welt sei. Der Literaturclub sei, erklärt er, ein möglicher Schnupperclub für ein Greenhorn wie Enquist. Er benutzt nicht diese Begriffe, aber das scheint der Gedankengang zu sein. Gustafsson hat eine Art, den Kopf sorgenvoll zur Seite zu neigen und ein klagendes Hmmmmmmmmm auszustoßen, das Grübeln und Mitgefühl andeutet, vielleicht auch Brillanz. Auch Gustafsson ist, wie er selbst, ein bisschen eigenartig, allerdings umgekehrt.
    Als er Gustafsson einen Romanentwurf aus der Gymnasialzeit zeigt, der für die Nachwelt in einer Konsumtüte gerettet worden ist, nickt der Kollege anerkennend und mit einer fragenden Miene.
    Nach einigen Monaten kommen sie deshalb sehr gut miteinander aus, haben sich gegenseitig als anderst identifiziert, doch mit Respekt: netter Sportidiot mit poetischen Ambitionen, respektive Vorbild für Mr. Pullen. Sie betrachten einander mit freundlicher Nachsicht. Weit später in ihren, ehrlich gesagt, erfolgreichen Leben werden sie diese gegenseitige und verzeihende Sympathie beibehalten, trotz politischer Zerreißproben. Die ursprüngliche Definition, wer der andere eigentlich ist, netter Sportidiot aus der Wildnis respektive aus der Anstalt vorübergehend freigelassener Modellbauer , wird jedoch keiner von beiden aufgeben.
    Die Schwestern Rothvik sind mit der Zeit immer entzückter von ihren eigentümlichen Untermietern und ziehen sie in ihr Leben hinein.
    Die Schwestern haben es nicht leicht gehabt. Schuld daran ist die andere . Sie – also wechselweise die abnorm dicke oder abnorm dünne – war intrigant, boshaft, heimtückisch, verlogen, gefährlich für die allgemeine Sicherheit. Die Gespräche finden im Flüsterton statt. Die gerade Vortragende, das wechselt also, macht sich Sorgen, dass die andere mit Lügen die Wahrheit verdreht, so dass die nichtsahnenden Untermieter ein falsches Bild bekommen. Ein schädliches Bild. Vielleicht sogar lebensbedrohlichem Schaden ausgesetzt sind, nicht nur geistig.
    Die eine Schwester absonderlich dick, die andere dürr und fast ausgemergelt. Sie sind nur durch ihren gegenseitigen Hass vereint, haben ein ganzes Leben zusammen gelebt, sind

Weitere Kostenlose Bücher